Superhero Bowl
– keine Story Spoiler –
Mit dem Hype ist es so eine Sache. Wer nicht dabei war, hat ihn verpasst und wer nicht von Beginn an dabei war, wird Mühe haben noch aufzuspringen. Nach 21 Filmen in 11 Jahren kulminiert gerade das Marvel Cinematic Universe in einem finalen Showdown der Superlative. Und für alle Superheldenfans auf diesem Planeten dürfte das einer Fusion von Weihnachten, Geburtstag und bestandenen Schulabschluss gleich kommen. Der Rest wird nur verwundert die Achseln zucken, ob einer solch ekstatischen Euphorie um ein paar bunt gewandete Freaks. Für solch Unkundige hat Marvel-Mastermind Kevin Feige den Superhero Bowl aber auch ganz bestimmt nicht initiiert, bei den zu erwartenden Zuschauermassen muss er da nicht mal mit den Achseln zucken.
Wer allerdings dabei war, als Tony Stark vom sarkastischen Waffenfabrikanten zum phantastischen Eisenmann mutierte, als der aufgetaute Weltkriegsheld Steve Rogers mit seinem blitzenden Vibraniumschild zum selbstlosen Kapitän der USA wurde, als Donnergott Thor einer irdischen Welt seinen helfenden Hammer reichte und als ein dauer-wütendes Trio aus grünem Riesen, Ex-KGB-Killerin und kriminellem Bogenschützen das bereits vorhandene zur Rächercombo ausbaute, für den wird der Film ein hoch emotionales Familientreffen, wie man es vielleicht nur einmal erleben darf, denn wann kommen denn schon mal wirklich alle zusammen, also auch die weniger vermissten, gesehenen, geliebten, um ihre ganz spezielle Verbundenheit zu feiern?
„Endgame“ ist der dafür mehr als passende Name und mitnichten eine lediglich pompös aufgeplusterte Behauptung. Im großen Aufgalopp „Infinity War“ aus dem Vorjahr war man bereits in Stellung und beinahe auch in die Knie gegangen. Gegen den kosmischen Superschurken Thanos und seine Vernichtungspläne half nur absoluter Zusammenhalt und Teamgeist. Die sechs erprobten Avengers waren dafür nicht mehr genug, also holte man sich Hilfe beim schwarzen Panther aus Wakanda, beim seltsamen Doktor aus New York, der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft sowie einem Liebhaber noch kleinerer Insekten und nicht zuletzt einer Chaos-Truppe galaktischer Wächter. Geholfen hat es insofern, dass Thanos mit Hilfe kosmischer Infinity-Steine nur halbe Arbeit leisten konnte. Halbe Arbeit hieß hier aber immer noch halbe Vernichtung und das mit einem profanen Fingerschnippen.
Und so sehen wir unsere verbliebenen Helden zu Beginn von „Endgame“ in depressiver Trauer. Denn Thanos hatte nicht nur ihre Reihen erkennbar gelichtet, sondern auch gleich die halbe Erdbevölkerung ausgelöscht, ein Kahlschlag von dem sich beide Seiten auch fünf Jahre später kaum erholt haben. An dieser Stelle wartet bereits die erste Überraschung auf die darbende Fangemeinde. Die Regie führenden Russo-Brüder lassen sich für ein Fantasy-Spektakel enorm viel Zeit, um Bedrückung, Pessimismus und Trauer eines jeden überlebenden Helden auszubreiten. Diese Entschleunigung wird nicht jedem gefallen, zumal sie die fluffige Leichtigkeit vieler Marvel-Filme praktisch ins Gegenteil verkehrt und obendrein die ein oder andere unerwartete Helden-Metamorphose bereit hält. Dem – nicht nur wegen seiner dreistündigen Lauflänge – erkennbar als Epos angelegten Film tut diese ungewohnte Drama-Fokussierung allerdings sehr gut und bildet den passenden emotionalen Rahmen für den letzten Kampf der gebeutelten Helden. Sie werden damit zumindest für eine Weile sehr menschlich und nur so taugen sie trotz ihrer diversen Superkräfte als Identifikationsfiguren und Charaktere, mit denen es sich lohnt mit zu fiebern.
Dass es überhaupt zum epischen Endkampf mit dem schnippenden Übeltäter kommt, haben die Avengers selbst zu verantworten. Ihr sehnlichster Wunsch Thanos Taten irgendwie rückgängig zu machen, bringt auch den bereits besiegt Geglaubten wieder in Schlagdistanz und die geht bei ihm traditionell mit apokalyptischen Gefahren einher. „Endgame“ gerät in dieser Phase in einen Schlingerkurs zwischen Logik, Sehnsucht, Konsequenz und würdigem Abschluss. Während erstere einigermaßen strapaziert wird, gehen dafür die übrigen drei in einem wunderbar austarierten Finale Furioso auf. Wer „Back to the Future“ liebt – und wer tut das nicht – kennt diese Gemengelage und sollte es den Machern um des Gesamtbildes wegen verzeihen. Zumal sie den Mut besitzen nach dem alles entscheidenden Actionspektakel wieder zur ruhigen Erzählweise und wehmütigen Stimmung des Beginns zurück zu kehren. Wieder gönnen sie jedem der Haupthelden ihre intimen Momente und finden für ihre zwei nicht ganz so heimlichen Anführer gleichsam rührende, wie konsequente und zutiefst stimmige Abschiede.
Als Fan und jemand, der die vielen unterschiedlichen Weltenretter ins Herz geschlossen hat, kann man sich am Ende der wohligen Melancholie nicht entziehen und will es auch gar nicht. Es endet wie es enden sollte und es fühlt sich gut an. Vieles ist überraschend, einiges hätte auch anders kommen können, aber stets spürt man den unbedingten Willen dem großen Ganzen mit Demut, Liebe und Leidenschaft zu begegnen.
Für das Fortbestehen des MCU ist das sicherlich eine Zäsur von nicht unerheblichen Ausmaßen. Ein großes Kapitel wurde geschlossen, ergreifend ohne pathetisch zu sein, berührend ohne kitschig zu sein und episch ohne pompös zu sein. Ob der Planet wirklich neue Helden braucht? Es wird schwer werden, die alten zu ersetzten und es wird spannend sein zu sehen, ob Marvel auch diese Hürde meistert. Der Hype um ein perfekt zusammen geführtes Superhelden-Universum wird sich aber sicher nicht wiederholen. Das erste Mal ist halt immer am schönsten, auch in der Phantasie.