„Ein Fest wir feiern wollen!“ – oder: Das Star Wars-Phänomen

Endlich ist es wieder soweit. Die alljährlichen Festtage stehen an. Nein, gemeint ist nicht das Fest der Liebe, Vergebung und der stetig wachsenden Beschenkung. Trotzdem gibt es gewisse Parallelen. Auch hier geht es um ein überirdisches Phänomen, das zudem von so manchen Jüngern mit enormem religiösen Eifer betrieben wird. Auch hier steht ein generationenübergreifendes Familienfest an, das alle zum Jahresabschluss an einem Ort zusammen führt. Das Gute daran: Keiner hat irgendeine Art von Vorbereitungsstress, das Menü ist bekannt und jeder glücklich damit. Gut, der ein oder andere wirft sich in sein sorgsam zusammen gestelltes Festtagsgewand, aber im Unterschied zum weihnachtlichen Laufsteg muss niemand fürchten ob der immer gleichen Garderobe gehänselt zu werden. Im Gegenteil, hier gibt es dafür sogar noch extra Applaus. Der geneigte Leser hat es natürlich längst erraten, ein neuer Star Wars-Film steht vor der Tür, also ab in die Fest- äh Lichtspielhäuser und auf in den Kampf gegen die dunkle Seite der Macht.

„Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …“. Mit diesem simplen Satz in leuchtend hellblauen Lettern beginnt jeder Star Wars Film. Ein geniales Intro, den damit ist bereits alles gesagt. Geboten wird eine unwiderstehliche Mischung aus dem gesammelten Märchen-, Mythen- und Sagenfundus der westlichen Hemisphäre gepaart mit abenteuerlicher Science Fiction.
Vor langer Zeit, genauer gesagt vor 40 Jahren, machte sich ein gerade der Filmschule entwachsener Regienovize daran, die kommerzielle Filmwelt für immer zu verändern. Seine Name: George Lucas. Natürlich wurde er zunächst als Spinner abgetan und von seinen besten Freunden mitleidig belächelt. Eine Weltraumoper, angelehnt an die billigen TV-Serials der 1940er Jahre und unterfüttert mit einem kruden Mix aus Artus-Sage, Western und Kriegsfilm? Ein Film, bei dem Nazi-Diktatur, Samurai-Kodex und Swashbuckler-Kontext Pate standen? Ein im wahrsten Sinne abenteuerliches Unterfangen.

Das Hollywood der 1970er Jahre hatte sich endlich vom studiodominierten Star- und Mainstream-System der vergangenen Dekaden befreit. Eine neue Generation hungriger, unbequemer und ambitionierter Filmemacher um Francis Ford Coppola („Der Pate“ 1972, „Apocalypse Now“, 1979), Martin Scorsese („Taxi Driver“, 1976) und Michael Cimino („Den letzten beißen die Hunde“, 1974) drehte höchst erfolgreich zeit- und gesellschaftskritische Filme für ein denkendes Erwachsenenpublikum. Im diametralen Unterschied zur heutigen Kinolandschaft wurden dabei allerdings die 10-15-jährigen schnöde vernachlässigt. George Lucas stieß genau in dieses Vakuum und schuf eigens für diese Verschmähten und popkulturell Heimatlosen einen ganz neuen Kino-Mythos.

Wie sein ganzes Konstrukt war auch der Erfolg märchenhaft, weil der praktisch über Nacht und vor allem völlig unerwartet kam. Lucas hatte bis kurz vor Start nächtelang bis hin zu völliger körperlicher und psychischer Erschöpfung am finalen Filmschnitt gearbeitet. Immer wieder hatte er im Vorfeld um Geld betteln und die finanziellen Engpässe durch Schulden und Kreativität ausgleichen müssen. Weder die engagierten Techniker, noch die unbekannten Hauptdarsteller glaubten an einen Erfolg. Der einzige Star, Sir Alec Guinness, äußerste sich gar abfällig über die naive Trivialität des Ganzen. Die Studiogranden von Finanzier 20th Century Fox bastelten bereits an Abschreibungsstrategien. Und dann der Start …

Im predigitalen Zeitalter zählte die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda noch was. Ein Film war noch nicht nach dem ersten Wochenende als Hit oder Flop abgestempelt. Er konnte sich entwickeln, herum sprechen, entdeckt werden. Und genau das passierte. Aufgrund der desaströsen Erwartungen hatte man auf einen Breitenstart verzichtet. Aber das Wunder nahm seinen Lauf, das Publikum liebte Star Wars. Es war wie ein Erweckungserlebnis. Vor den vergleichsweise wenigen Kinos bildeten sich alsbald lange Schlangen, die zunehmend über mehrere Blocks reichten. Der Begriff und vor allem das Phänomen des „Blockbuster“ war geboren. Der Rest ist wie man so schön sagt Geschichte.

Lucas mutierte binnen weniger Wochen vom vermeintlichen Versager zum neuen Hollywood-Wunderkind. Dabei war er der heimischen Filmschmiede stets skeptisch gegenüber gestanden. Und er hatte vorgesorgt. Fox ließ er lediglich den Vertrieb erledigen, für die Effekte gründete er seine eigene Firma (ILM). Der cleverste Schachzug hin zur filmischen Unabhängigkeit aber war ein anderer. Bei Fox hatte man insgeheim die Sektkorken knallen lassen, als Lucas auf eine Gage verzichtet und lediglich auf prozentualer Gewinnbeteiligung und sämtlichen Rechten am Merchandising bestand. Wie oft man sich dafür in der Foxschen Chefetage verflucht hat, ist nicht belegt. Wenigstens blieb ihnen seinerzeit der hellseherische Blick ins Jahr 2017 erspart, in dem das Star Wars-Logo ganzjährig auf allen denkbaren und undenkbaren Artikeln des Alltags und des Vergnügens prangt. Lucas jedenfalls wurde dadurch zum Multimillionär und konnte die beiden Fortsetzungen „Das Imperium schlägt zurück“ (1980) und „Die Rückkehr der Jedi Ritter“ (1983) ganz nach seinen Vorstellungen realisieren. Hollywood war dankbar, wenigstens den Verleiher geben zu dürfen.

Aber was ist nun wirklich dran an einem Phänomen, das 40 Jahre nach seiner Geburt größer scheint denn je? Den Nerv ihrer Entstehungszeit haben auch andere Filme getroffen, die heute längst vergessen sind. Was ist dran an einer im Kern trivialen Geschichte, in der ein jugendlich-idealistischer Knappe, ein deutlicher abgeklärterer Raubritter und eine schnippische Prinzessin die Mächte der Finsternis besiegen? In der Laurel und Hardy als zänkisches Roboterpaar für Witz und Pfiffigkeit sorgen? In der die entscheidendste Phase der römischen Geschichte in fernen Welten neu aufgerollt wird? Star Wars ist letztlich eine auf den ersten Blick vogelwilde, aber letztlich eben absolut stimmige Mixtur mythischer Geschichten, geschichtlicher Mythen und – vornehmlich US-amerikanischer – popkultureller Einflüsse des 20. Jahrhunderts. Als Erklärungsmodell greift dies allerdings zu kurz. Zuneigung, zumal eine solch innige, erlangt man nur über Emotionen. Und auch da ist Star Wars ganz groß. Denn abseits all der clever vermischten Zutaten, abseits der erzählerischen Bandbreite und abseits der tricktechnischen Fabelleistungen verfügen die Filme vor allem über eins: Herz und einen unwiderstehlichen Charme.

Wenn der Weise Jedi-Meister Yoda seinem Novizen Luke den Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Versuchung und Standhaftigkeit vermittelt, dann mag das simpel anmuten, ergreifend und berührend ist es dennoch. Wenn sich der coole Weltraumpirat Han Solo und die spröde Sternenprinzessin Leia im Angesicht von Feind und Tod ihre Liebe gestehen, dann ist das packend. Und wenn der schwarze Lord der Sith dem besiegten und verwundeten Luke seine wahre Herkunft enthüllt, stockt einem auch noch beim x-ten Wiedersehen der Atem.
Lucas hat Helden geschaffen, mit denen man sich identifizieren kann, mit denen man mitfiebert, mitleidet und mitlacht. Für die drei Darsteller Mark Hamill (Luke Skywalker), Carrie Fisher (Prinzessin Leia) und Harrison Ford (Han Solo) waren diese ikonischen Figuren Fluch und Segen zugleich. Einzig Ford konnte sich von Star Wars lösen und eine einzigartige Schauspiel-Karriere starten. Lucas hat er dabei fast alles zu verdanken, denn der schrieb ihm auch noch den nicht minder ikonischen Archäologen-Abenteurer „Indiana Jones“ auf den Leib.

Da ist es nur recht und billig, dass er 2015 bei der heiß ersehnten Fortsetzung der Urtrilogie („Das Erwachen der Macht“) wieder an Bord des „Millenium Falcon“ anheuerte und neben seinem behaarten Kumpel Chewbacca Platz nahm. Diesmal allerdings unter der Regide von Disney. George Lucas hatte die Rechte an seiner Saga für eine horrende Summe verhökert. Ob es an seinem Alter lag, oder der Enttäuschung vieler Star Wars-Fans über Ton und Ausrichtung seiner Prequel-Trilogie?
Tatsächlich ließ die Vorgeschichte von „Krieg der Sterne“ so ziemlich alles vermissen, was die drei ersten Abenteuer ausgezeichnet hatte: sympathische Helden, ergreifende Momente, ein authentischer Look und ein übermächtiger Bösewicht. Der Technikfreak Lucas setzte voll auf Digitalisierung und produzierte damit eine kalte, künstliche Sterilität. Zahlreiche Kreaturen und ein Gros der neuen Welten stammten aus dem Rechner. Während die Modelle, Masken und händisch erbauten Sets einst ungemein real gewirkt hatten, wähnte man sich hier in einem Animationsfilm. Dazu kamen blasse Helden sowie eine hölzern und umständlich erzählte Politparabel, die weder Spannung noch Dramatik erzeugen konnte. Aber Star Wars war längst zur Marke geworden, der Rubel rollte dennoch. Das Feld globaler Weltrekorde musste Lucas allerdings an James Cameron räumen.
So gesehen hat Disney alles richtig gemacht, als es die popkulturelle Wunderwaffe der Gegenwart auf das neu erstandene Luxusgut ansetzte. J.J. Abrams reaktivierte die alten Recken Han, Leia und Luke, lies den „Rasenden Falken“ wieder fliegen und orientierte sich in Ausstattung, Ton und Dramaturgie an George Lucas Erstling von 1977. Dieser beherzte Retro-Schwenk führte Star Wars zurück auf die güldene Siegesallee der Überblockbuster. Da konnte selbst die geballte Macht der Marvelschen Superhelden nichts mehr entgegen setzen.

Nun also kommt der Mittelteil der dritten Trilogie. Und Star Wars-Fans wissen, was das bedeutet. „Krieg der Sterne“ mag das Phänomen los getreten haben, aber die Hinwendung in Richtung Mythos, in Richtung geradezu religiöser Verehrung und nimmer enden wollender Fan-Leidenschaft fußt ganz entscheidend auf der ersten Fortsetzung. Bis heute ist „Das Imperium schlägt zurück“ nicht nur einer der besten Filme aller Zeiten, sondern vor allem und ganz besonders der beste, schönste, ergreifendste, spannendste, ideenreichste und tiefgründigste Star Wars-Film. Die gute Nachricht: Das sieht auch Rian Johnson so, der den eher stromlienförmigen Abrams auf dem Regiestuhl ablöste. Eine Brise Neo-Noir-Mystery (wie in Johnsons Regiedebut „Brick“) wäre genau die richtige Ingredienz für „Die letzten Jedi“ hin zur „Empire-Werdung“ der neuen Trilogie. „Hoffnung du haben solltest!“, würde Yoda sagen. Und wer will schon einem 700-Jahre alten Jedi-Meister widersprechen? Am 14.12. wissen wir mehr, wenn John Williams Fanfaren ertönen und es wieder heißt: „Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis … .“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert