Mission Impossible 6: Fallout (2018)

Die Irrfahrten des Ethan Hunt

Zu Beginn jeder unmöglichen Mission muss Ethan Hunt erst einmal über jene informiert werden. Und anders wie bei seinem britischen Superagenten-Pendant Bond geschieht dies nicht über den distinguierten Geheimndienstchef in seinem Mahagoni getäfelten Büro, sondern via scheinbar harmloser Gegenstände, die bei Öffnung ein wahres Technikfeuerwerk an digitalen und audiovisuellen Informationen bereit halten und sich nach wenigen Sekunden selbst zerstören. Es sagt übrigens einiges über die Unterschiede der beiden berühmtesten Geheimagenten aus, dass Hunts Q-Moment nie etwas mit Spezialwaffen zu tun hat. Diesmal verbergen sich die gewohnt komprimierten Auftragsdetails in einer Ausgabe von Homers Odyssee. Die sich aufdrängende Botschaft erscheint zunächst profan: Ethan Hunt als moderner Odysseus? Ist das nicht ein wenig zu sehr in der metaphorischen Mythologie-Kiste gekramt?

„Mission Impossible: Fallout“ ist bereits der sechste Teil der Reihe um den geheimen Weltenretter Ethan Hunt. Aber anders als Kollege Bond scheint er kaum verwurzelt und repräsentiert auch nicht typisch amerikanische Werte. Während der eine durchaus stolz für Königin und Vaterland in den Kampf zieht, ist Hunt ein Getriebener der permanenten globalen Bedrohung durch konkurrierende und aus dem Ruder laufene Geheimdienste. Zwar jettet auch er um die Welt, hat dabei aber weder Auge noch Sinn für ihre Schönheiten und Verlockungen. Ein Glässchen hier, ein Schäferstündchen dort, für den rastlosen Hunt ist das nie eine Option. Dennoch scheint es auch bei ihm eine nicht näher definierte Sehnsucht nach Normalität im Sinne von Heimat und Familie zu geben. In „Fallout“ wird diese meist völlig ausgeblendete menschliche Seite immer wieder virulent. Regisseur Christopher McQuarrie, der auch schon den Vorgänger „Rogue Nation“ inszenierte, gelingt dies trotz des Franchise-typischen Fokus auf Action, Adrenalin und Geschwindigkeit.

Der Film beginnt mit einer Hochzeitsszene. Hunt und die inzwischen getrennt von ihm und den Widrigkeiten des IMf lebende Julia (Michelle Monaghan) geben sich vor exotischer Kulisse das Jawort. Aus Sicht Hunts wirkt diese Reminiszenz gleichermaßen surreal wie radikal, war doch der Versuch einer bürgerlichen Existenz im dritten Film gnadenlos an der Realität von Hunts eigentlicher Berufung zerschellt. Es ist dann auch nur eine Traumsequenz, die ganz schnell in einen Albtraum mündet, als sich der Priester als Hunts Terroristen-Nemesis Solomon Lane (Sean Harris) entpuppt, der ihnen Chaos, Zerstörung und ewige Verdammnis mit auf den Weg gibt.

In der Folge scheint sich dann auch einiges davon zu bewahrheiten. Hunt und sein Team geranten bei dem verzweifelten Versuch drei waffenfähige Plutonium-Kerne sicherzustellen in ein schier unauflösbares Dickicht aus Terrornetzwerken, Gangstersyndikaten und widersprüchlichen Geheimdienstinteressen. Keiner ist das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint und ein unsichtbarer Strippenzieher im Hintergrund ist allem immer einen Schritt voraus. Man kennt dieses Szenario aus früheren unmöglichen Missionen, aber diesmal ist es deutlich persönllicher für Hunt. Die eigentlich dem zermürbenden Agentenberuf entfliehen wollende Ilsa Faust taucht plötzlich wieder auf und wirbelt nicht nur Hunts Berufs- sondern auch sein Gefühlsleben gehörig durcheinander. Die widrigen Umstände zwingen Hunt dann auch noch seinen Intimfeind Lane zu befreien, der neben seinen terroristischen Plänen explizit auf persönliche Rache sinnt. Schließlich hat die CIA ihren eigenen Aufpasser in Gestalt des ebenso rüden wie zwielichtigen August Walker (Henry Cavill) ins Team gezwungen, was für zusätzlichen Sprengstoff sorgt.

McQuarrie inszeniert diesen doppelt- und dreifachbödigen Spionageplot als Adrenalin-getränkten Actionthriller mit fantastischen Setpieces und grandiosen Stunteinalgen. Hunt hetzt dabei von Berlin über Paris und London bis ins ferne Kaschmir. Die Actionchoreographien folgen dabei der erzählerischen Entwicklung und werden zunehmend rasanter, wilder, gehetzter und verzweifelter. Schon der minutenlange Faustkampf auf einer Pariser Club-Toilette ist an Wucht und Brachialität kaum zu toppen und stellt alles Vergleichbare der letzten Dekade in den Schatten. Eine irrwitzige Mottorad-Jagd duch den Pariser Berufsverkehr setzt hier noch einmal einen drauf und lässt einem ob des offenkundigen Verzichts auf CGI und die erkennbare Beteiligung von Hauptdarsteller Tom Cruise wiederholt den Atem stocken. Da wirkt es fast schon erholsam, wenn Cruise in halsbrecherischem Tempo per Pedes entlang der Themse und über Londoner Brücken sprintet. Allerdings nur fast, denn mehrfache Sprünge über und von Dächern sind ein erneuter Beleg für Cruises ungebrochene Stunt-Manie und -Expertise. Wer da immer noch zweifeln sollte, den stellt er mit einer ungemein fessend gefilmten Hubschrauberverfolgung – er soll extra dafür einen Flugschein erworben haben – durchs gebirgige Kaschmir ruhig, die noch zusätzlich mit wahnwitzigen Klettereinlagen an Seilen, Helikopterkufen und einer Steilwand aufwartet. Als puristischer, handgemachter Actionfilm ist „Fallout“ nichts weniger als ein Referenzwerk, an dem sich zukünftige Epigonen werden messen lassen müssen.

Kameramann Rob Hardy liefert hier sein Meisterstück ab und sorgt zeitgleich für totalen Überblick wie unmittelbares Dabeisein. Nie sah Action zugleich schöner und gefährlicher aus, nie wurde man sogartiger ins pulsierende Geschehen hinein gezogen. Besonders aber gelingt es ihm, Hunts Seelenleben und den mehrschichtigen Plot optisch zu verstärken. Häufig schräger Lichteinfall oder das Spiel mit Spiegelbildern stehen äquivalent für Diffusität, Unsicherheit und Scheinrealitäten. Das Thema des Vexierspiels wir damit neben der erzählerischen, inszenatorischen und darstellerischen auch auf der visuellen Ebene aufgegriffen und konsequent umgesetzt.

Für Protagonist Hunt und sein Team (Computerexperte Luther Stickel, Ving Rhames, zum sechsten und Mädchen für alles Benji Dunn, Simon Pegg, auch bereist zum vierten Mal) bedeutet dieser Hochgeschwindigkeitsrausch aber nicht nur eine weitere erfolgreiche Mission, sondern auch eine weitere Vertiefung ihrer Beziehung, die weit über rein Berufliches hinaus geht. Es sind nur wenige Szenen und kurze Augenblicke, die Einblicke in die jeweiligen Gefühlsleben bieten, aber diese sind alles andere als obeflächlich. Im Zentrum steht auch hier wieder Teamleader Hunt, auf den in Kashmir eine ganz besondere Begegnung wartet, die sowohl Erkenntnis wie auch Absolution bringt. Seine Irrfahrten durch die Unterwelt globaler Bedrohungen sind damit nicht beendet, aber sie bekommen so etwas wie einen tieferen Sinn und einen emotionalen Anker.

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(Ranking. 9,5 / 10 Punkten)

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