Ein Fan sieht rot! – Star Wars Noir
Rot ist die Farbe der Liebe, der Leidenschaft, der Energie, aber auch der Impulsivität, Aggression und Wut. Beim neuen, inzwischen achten Teil der Star Wars-Saga dominierte sie nicht nur Teaser- und Hauptposter, auch im fertigen Film ist sie optisch der sprichwörtliche rote Faden. Kombiniert mit einem mehr auf Charaktertiefe und Emotion setzenden Skript entsteht ein Sog, der auch den Franchise-Unkundigen zunehmend packt. Man muss weit zurück gehen im Star Wars-Universum, um eine ähnlich durchkomponierte Symbiose zwischen formaler und inhaltlicher Geschlossenheit zu finden. Genau genommen 37 Jahre, als das böse galaktische Imperium gnadenlos zurück schlug und die strahlenden Helden aus „Krieg der Sterne“ beinahe vollständig aufrieb.
Die Parallelen sind offenkundig und sicher auch ein Stück weit gewollt. Schließlich hatte es schon beim Vorgänger „The Force Awakens“ (2015) bestens funktioniert, Dramaturgie und Plotelemente des Urfilms zu kopieren. Wie groß muss da erst die Versuchung gewesen sein, sich beim Herzstück der ersten Trilogie zu bedienen, gilt doch „The Empire strikes back“ (1980) v.a. unter Hardcore-Fans als der ultimative Star Wars-Film. Erst durch ihn wurde die Saga zu dem mythisch aufgeladenen und beinahe sakral verehrten Phänomen, als das sie heute gilt. War der erste Film noch eine recht beschwingte Angelegenheit, ein zumeist leichtes Abenteuer-Crossover aus Science Fiction, Fantasy und Kriegsfilm, mischte das Sequel eine gehörige Portion, Mystik, Drama und Düsternis unter. Der Ton wurde ernster, die Gefühle tiefer und die Figuren vielschichtiger. „The Last Jedi“ positioniert sich also auf ganz ähnliche Weise gegenüber seinem „Original“, dass dabei dennoch keine uninspirierte „Empire-Kopie“ heraus kam, ist in erster Linie das Verdienst eines Mannes. Sein Name: Rian Johnson.
So wie es eine äußerst kluge Wahl war, den popkulturellen Nerd und Wiederbelebungskünstler J.J. Abrams den von vielen Fans schon nicht mehr für möglichen gehaltenen Anschluss an die heiß geliebte Ur-Trilogie herstellen zu lassen, so war es ein Geniestreich ihn bei der Fortsetzung durch Johnson zu ersetzen. Abrams hatte den Weg bereitet und das in den Prequels verloren gegangene, magische Star Wars-Feeling mit einer rasanten Retro-Sause neu entfacht. Das würde in der Form natürlich kein zweites Mal funktionieren, also musste ein neuer Mann für eine neue Aufgabe her. Rian Johnson ist wie Abrams ein glühender Star Wars-Fan, v.a. der Urtrilogie. Anders als Abrams ist er aber auch ein feinsinniger Charakterzeichner mit Hang zur Düsternis. In seinem Debüt „Brick“ und bei diversen „Breaking Bad“-Folgen hat Johnson eben dieses Talent sowie seine Affinität zum Neo-Noir-Stil eindrucksvoll bewiesen. Gerade für den so wichtigen Mittelteil, das Herzstück, ist er damit wie geschaffen.
Der zweite Akt ist auch im klassischen Drama der reichhaltigste und komplexeste. Hier werden Handlungsfäden verknüpft und Entwicklungen in bestimmte Bahnen gelenkt. Hier werden Intrigen gesponnen, Konflikte spitzen sich zu und der oder die Helden stehen vor der entscheidenden Auseinandersetzung. Rian Johnson, der nicht nur die Regie von „The Last Jedi“ übernahm, sondern gleich auch das Drehbuch schrieb, scheint dieses theoretische Grundgerüst sehr genau zu kennen, denn sein Film folgt dieser Ein- und Aufteilung verblüffend exakt.
Nachdem der Widerstand die Superwaffe der Ersten Ordnung hat zerstören können, ist deren Kampfgeist er so richtig erwacht. Mit Mühe können die Widerständler ihre Basis evakuieren und sind von da an auf der Flucht. Der oberste Anführer Snoke hetzt seine rivalisierenden Kettenhunde, den ambitionierten Flottengeneral Hux (Domhnall Gleeson) sowie seinen gelehrigen Schüler Kylo Ren (Adam Driver), auf die von General Leia Organa (Carrie Fisher) befehligten Reste der Aufständischen.
Doch die Bedrohung kommt nicht nur von außen. Fliegerass Poe Dameron (Oscar Isaac) reibt sich in Kompetenzrangeleien auf, Ex-Stormtrooper Finn (John Boyega) handelt eigenmächtig und Rey (Daisy Ridley) versucht verzweifelt, den endlich gefundenen, aber davon wenig begeisterten Luke Skywalker (Mark Hamill) für den Widerstand zu gewinnen. Parallel dazu versucht Kylo Ren die beiden aufzuspüren um seinen alten Lehrer endgültig zu vernichten und Rey zur dunklen Seite der Macht zu bekehren. Und die Schlinge um die neue Rebellion scheint sich langsam, aber unaufhaltsam zuzuziehen.
Verfolgung, Evakuierung, Flucht, Vertreibung, Manipulation, Bedrängnis, Gefangennahme, Verlust und drohende Niederlage, „The Last Jedi“ gleicht in seiner dramaturgischen Anordnung „The Empire strikes back“ wie ein Tie Fighter dem anderen. Das Gute (Widerstand) scheint vor der militärischen Überlegenheit des Bösen (Erste Ordnung)einzuknicken. Der finstere Anführer (Snoke) und sein erster Scherge (Kylo Ren) scheinen immer einen Schritt voraus. Die Helden (Finn und Poe) können sich lediglich mit Ausdauer und Pfiffigkeit einigermaßen über Wasser halten. Der vermeintliche Retter (Luke) zeigt wenig Interesse an der Rettung und die neue Hoffnung ist noch nicht so weit (Rey). Selbst die zentralen Setpieces von „Empire“ – Eisplanet Hoth, Yodas Exilm auf Dagobah und die schillernde Wolkenstadt von Bespin – erhalten in „Jedi“ ihr Pendant.
Und dennoch – und das mag jetzt überraschen – hat Johnson weit weniger ein bloßes Remake gedreht wie vor ihm Abrams. „The Last Jedi“ verneigt sich vor „The Empire strikes back“, er zollt dem Star Wars-Filetstück seinen tief empfundenen Respekt, man kann ihn als liebevolle Hommage dekodieren, aber er ist noch so viel mehr. Johnson spielt geschickt mit den Erwartungshaltungen und Hoffnungen der Fans, nur um dann ganz andere Antworten zu geben bzw. neue Fragen aufzuwerfen. Insbesondere das Schlussdrittel wartet mit einer Fülle an Twists und Kniffen auf, die „The last Jedi“ vom offensichtlichen Vorbild abgrenzen. Für J.J. Abrams – der ja für das Finale wieder auf dem Regiestuhl sitzen wird – bedeutet dies, dass er keineswegs einfach „The Return of the Jedi“ durchpausen kann. Diesmal ist der innovative und findige Abrams gefragt, man wird sehen, ob er dieser Aufgabe gewachsen ist.
Rian Johnson findet zudem eine deutlich prägnantere Bildsprache als sein immer ein wenig in seinen TV-Wurzeln gefangener Vorgänger. Die Raumschlachten sind druckvoller, wuchtiger, epischer. Die Welten sind panoramaartiger und dennoch realer. In den Interieurs gibt es mehr Details zu entdecken, was sie lebensechter macht. Seinen Darstellern gibt er mehr Raum und vor allem mehr Zeit, sich zu entfalten. Alles wirkt weniger gehetzt und ist dennoch mehr auf den Punkt inszeniert.
Dazu versteckt Fanboy Johnson eine Fülle von kleinen und größeren Reminiszenzen an die Episoden IV-VI. C3POs Chancenkalkulation und Chewbaccas Freßtrieb sind dabei nur die offenkundigsten. Johnson spielt auch mit visuellen Gimmicks und nicht zuletzt auditiven Rückblenden. Filmkomponist John Williams legt dabei eine Reihe seiner „Empire“-Themen wieder auf und verknüpft sie ungemein stimmig mit neuen Melodien. Wie der Film ist auch sein Score der beste seit Epiosde V.
Es ist schon angeklungen, dass Johnson auch dem schauspielenden Personal mehr Aufmerksamkeit schenkte. Besonders profitieren davon Adam Driver und Mark Hamill. Kylo Ren war in „Force Awakens“ mehr ein ungezogenes Jüngelchen, dem man weder die innere Zerrissenheit, noch seine dunklen Machtkünste so recht abnahm. Unter Johnsons Ägide wird er endlich zu einem starken Antagonisten, der neben dem übermächtigen Darth Vader nicht gleich untergeht.
Mark Hamill hatte ganz andere Probleme. Als idealistischer Held wirkte er neben dem cooleren und ambivalenteren Han Solo immer ein wenig brav. Anders als Harrison Ford, der eine Weltkarriere startete, konnte er sich auch nie von der Skywalker-Rolle lösen und verschwand schnell in der Versenkung. In „The Last Jedi“ kann er nun endlich zeigen, dass er mehr zu bieten hat als den edlen Ritter mit Laserschwert. So wie „Force Awakens“ von Fords Präsenz lebt, ist „Last Jedi“ in erster Linie Mark Hamills Film. Der in die Jahre gekommene Jedi-Ritter ist ein sehr viel spannenderer Charakter wie sein jüngeres Ich. Er ist weiser, abgeklärter, aber auch unberechenbarer und undurchsichtiger. Hamill hat sichtlich Freude an dem komplexeren Luke und liefert seine stärkste Star Wars-Vorstellung. Dieses Mehr an Dramatik und charakterlichen Untiefen ist gewissermaßen der Kitt, der Johnsons Konzept zusammen hält und vor allem erst möglich macht.
Und dann immer wieder „Rot“. Wenn Snoke in seinem Thronsaal vor einer tiefroten Wand, umgeben von ganz in rot gekleideten Samurai-ähnlichen Palastwachen zur Audienz lädt, dann sind Gefahr, Bedrohung und Aggression allgegenwärtig. In der finalen Schlacht schließlich rasen die Jäger des Widerstands feindlichen Kampfläufern über eine schneeweiße Wüste entgegen. Bei jeder Bodenberührung reißen sie den Boden des Salzplaneten auf und ziehen eine blutrote, fontänenartige Gischt hinter sich her. Leidenschaft, Energie und Opferbereitschaft werden durch diesen visuellen Kniff noch einmal wesentlich intensiver.
Der vermeintliche Tabubruch auf sämtlichen Kinoplakaten, auf denen das traditionelle Gelb des ikonischen Star Wars-Logos durch ein tiefes Rot ersetzt wurde, erfährt hier nicht nur seine nachträgliche Rehabilitierung, sondern ist quasi das schlüssige I-Tüpfelchen auf Johnsons konzeptioneller Strategie. Die mag das Star Wars-Universum vielleicht nicht neu erfunden haben, aber sie hat definitiv neue Wege aus der von J.J. Abrams gelegten Retro-Falle gefunden und dabei das so spezielle Star Wars-Feeling der Ur-Trilogie sogar noch stärker entfacht wie J.J. Abrams. Frei nach dem Credo eines alten Meisters: „Nein, nicht versuchen. Es gibt kein Versuchen, tu es, oder tue es nicht. Es gibt kein Versuchen.“ Rian Johnson hat es getan.