„The Dark Spy Rises – Happy Anniversary Mr. Bond!“
Runden Geburtstagen haftet auch immer etwas Wehmütiges an. Das gilt besonders für die Mutter aller runden Geburtstage, den Fünfzigsten. Für die meisten bedeutet er mindestens Halbzeit im Leben, so dass sowohl der Blick zurück, wie auch der nach vorn, neben Höhen definitiv auch einige Tiefen zu bieten hat. Nun ist James Bond natürlich kein Mensch wie du und ich. Gentleman, Womanizer, Killer. Angestellt Im Geheimdienst ihrer Majestät, ausgestattet mit der Lizenz zum Töten, ist sein Dasein geprägt von Gefahr, Abenteuer und Nervenkitzel. Ein Lebemann, dessen Sprüche so trocken sind wie seine Martinis.
Sein 50-jähriges Leinwandleben bestand bisher fast ausnahmslos aus Höhepunkten und Superlativen. Wer kann schon von sich behaupten mehr als ein dutzendmal die Welt gerettet und dabei noch die Zeit gefunden zu haben um exquisites Essen, edle Tropfen und schöne Frauen in Legion zu konsumieren. Sein Siegeszug war und ist global, sein Familienmotto lautet gar: Die Welt ist nicht genug. Längst hat er jedenfalls die Beatles als erfolgreichsten, post-imperialen Exportschlager Britanniens abgelöst.
Und dennoch, bei all den angebrachten Jubelarien für solch eine in der Kinogeschichte bis dato einzigartige Karriere, Wehmut und Innehalten ist auch im Falle unseres Lieblingsspions nicht gänzlich unangebracht. Bei genauerem Hinsehen gab es durchaus den ein oder anderen Stolperstein auf dem Weg zum Ikonen-Olymp. Mehrfach hat die Serie den Hauch des Todes verspürt, sei es durch unglückliche Darstellerwechsel (von Sean Connery zu George Lazenby sowie von Roger Moore zu Tomothy Dalton) oder durch Zeitgeistveränderungen, die den betagten Agenten aufs Anachronismus-Altenteil abzuschieben drohten. Tatsache ist, Bond wurde von der Filmkritik spätestens seit Sean Connerys Ausstieg zu Beginn der 1970er Jahre regelmäßig totgesagt. Ganz ohne Tiefschläge, auch an den Kinokassen, kam also auch Bond nicht davon.
Vor diesem Hintergrund ist der Jubiläumsfilm Skyfall zwar kein Risikoprojekt, aber eben auch kein Selbstläufer. Trotz der erfolgreichen Installierung eines 6. Bond-Darstellers (beide Filme mit Daniel Craig spülten weit über 500 Millionen US-$ in die Kassen) war der zumindest filmisch angegraute Held wieder einmal als Auslaufmodell angezählt worden. So ließ vor allem Bond 22 (Ein Quantum Trost) beinahe alles vermissen, was man an dem Gentleman-Spion lieb gewonnen hatte und drohte zu einem Hybrid aus dem gänzlichen unglamourösen und uncharismatischen Agenten-Phantom Jason Bourne sowie dem ebenso skrupel- wie humorlosen Terroristenscheck Jack Bauer zu werden.
Dieser unguten Entwicklung hat man richtigerweise eine deutliche Abfuhr erteilt und sich wieder spürbar deutlich auf alte Stärken der langlebigen Franchise besonnen. Was nicht heißen soll, dass die in Casino Royale so eindrucksvoll begonnene Neuorientierung hin zu einem komplexeren, mit etlichen Schattenseiten behafteten Heroen-Charakter völlig über Bord geworfen worden wäre. Vielmehr gelingt mit Skyfall auf beeindruckende Weise der gefährliche Spagat Historie mit Moderne zu verknüpfen, ohne dass dabei die Zukunft der Serie aufs Spiel gesetzt würde. Ein Hommage an 50 Jahre spritzige Agentensause einerseits, aber durchaus auch ein mutiger Schritt nach vorne in Richtung Erdung und Entmysthifizierung der bekanntesten Kino-Ikone. All dies ist zuvorderst und im Besonderen ein Verdienst von Regisseur Sam Mendes.
Nicht kleckern, sondern klotzen ist eine Devise nach der auch Bond hin und wieder erfolgreich zu Werke ging. Warum also sollte man nicht (erstmals) eine geballte Riege Oscar-Preisträger und-Nominierte (zusammen kommen sie auf 40 Nominierungen) vor und hinter der Kamera auffahren, um die vom seriösen Feuilleton meist eher belächelte Serie auf eine neue Qualitätsstufe zu hieven? Natürlich sollte es kein Arthouse-Bond werden (den würde auch keiner sehen wollen), aber dass Actionhelden und Erwachsenenkino sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen hat spätestens Christopher Nolans Batman-Trilogie bewiesen.
Überhaupt scheint der dunkle Ritter eine nicht unerhebliche Inspirationsquelle für Mendes gewesen zu sein, lässt doch auch er viel Raum für die Auslotung und Analyse der Psyche seines Helden. Wie Bruce Wayne hat auch James Bond mit Dämonen aus seiner Vergangenheit zu kämpfen. Auch ihn beschäftigt die Sinnfrage seines tödlichen Tuns und seine Loyalitäten werden einer existentiellen Prüfung unterzogen. Und schließlich muss auch er zunächst tief fallen, um wieder glorios auferstehen zu können.
Ähnlich dem Joker bei Batman gibt es diesmal auch für Bond eine Nemesis, die quasi als Zerrbild des eigenen Selbstverständnisses schonungslos die Schwächen im Denken, Handeln und Fühlen des Helden offenlegt und geradezu genüsslich seziert. Der Spanier Javier Bardem spielt den Cyber-Terroristen Silva mit einer Verve die nicht nur an den besten Bondschurken (Gert Fröbe als Goldfinger), sondern auch an den angsteinflößendsten Bösewicht der Filmgeschichte (Antony Hopkins als Hannibal Lecter) erinnert. Die Dialoge zwischen den beiden Kontrahenten gehören bereits jetzt zu den Höhepunkten der gesamten Serie. Und den finalen Schlagabtausch per Helikopter einzuläuten aus dessen Lautsprechern John Lee Hookers „Boom, Boom“ dröhnt ist ganz großes Kino, es muss ja nicht immer Wagner sein.
Wer jetzt denkt, dass der eher auf Beziehungsdramen spezialisierte Mendes („American Beauty“, „Herzen des Aufruhrs“) dafür natürlich der Richtige ist, aber eben leider keine Action kann, dürfte sich bereits nach der obligatorischen Pre-Title-Sequence beruhigt zurück lehnen. Ganz anders als beim vom Schnitt klein gehäckselten Vorgänger hat man diesmal einen Panoramablick auf eine der spektakulärsten Eröffnungen der in dieser Hinsicht ohnehin konkurrenzlosen Franchise. Schon da wird deutlich, dass Mendes Behauptung seit Jugendtagen Bondfan zu sein ebenso wenig ein bloßes Lippenbekenntnis gewesen ist, wie die angekündigten Hommagepläne zum runden Jubiläum.
Mit Schauplatz (Istanbul), Stuntakrobatik (Verfolgung auf einem fahrenden Zug) und Schlussclou (Bonds vermeintlicher Tod) wird gleich drei älteren Filme die Referenz erwiesen (Liebesgrüße aus Moskau, Octopussy, Man lebt nur zweimal). Im weiteren Verlauf gerät die Action zwar etwas bodenständiger, aber keineswegs weniger schweißtreibend. Mischung, Darbietung und Choreographie dieser so essentiellen Ingredienz stimmen jedenfalls und zeigen dem inzwischen mit enervierender Regelmäßigkeit von Schnittgewitter und Wackelkamera heimgesuchten Genre stolz, dass es auch anders und vor allem besser geht.
Anders und besser ist diesmal auch die Qualität der eingefangenen Bilder. Roger Deakins, Hauskameramann der Coen-Brüder und auch schon zum dritten Mal für Mendes tätig, liefert erlesene Panorama-Shots von Istanbul, Shanghai, Macao, London und dem ländlichen Schottland. Seine ruhigen Kamerafahrten sowie seine durchdachten Bildarrangements verleihen dem Film eine Grandezza, die eine Novität für die reihe darstellt ihr aber nicht nur aufgrund des Jubiläums bestens zu Gesicht steht.
Bei so viel Schönheit und Anmut ist auch der Weg zu den sogenannten Bondgirls nicht weit. Rein optisch lassen natürlich auch Bérénice Marlohe und Naomie Harris nichts zu wünschen übrig. Allerdings fallen Rollenprofil und Auftritt Ersterer als undurchsichtige Sévérine doch etwas unspektakulär bzw. knapp bemessen aus und erinnern dabei stark an Teri Hatcher in Der Morgen stirbt nie. Harris hat da als MI6 Field Agent Eve den etwas dankbareren Part – zumal das Skript mit ihr noch eine finale Überraschung parat hat -, sonderlich präsent ist allerdings auch sie nicht.
Ohnehin ist das eigentliche Bondgirl in Skyfall Judi Dench alias M. So gilt der von Silva initiierte Cyber-Angriff auf den MI6 eigentlich seiner Chefin. Als ihre scheinbar antiquierten Methoden ins politische Kreuzfeuer geraten, droht auch der eng mit ihr verbundenen 00-Abteilung die bürokratische Wegrationalisierung. Am Ende steht nur noch der bereits fürs Abstellgleis vorgesehene 007 zwischen ihr und dem rachsüchtigen Silva. Für Vorgesetzte und Lieblingsschüler wird es eine düstere Reise in die eigene Vergangenheit, eine Reise mit ungewissem Ausgang. Judii Dench gibt in ihrem siebten Auftritt als Leiterin des britischen Geheimdienstes ihre nuancierteste Vorstellung und gewährt dabei erstmals tiefe Einblicke in das brüchige Seelenleben der resoluten Staatsbeamtin.
Die ungewöhnliche Fokussierung auf differenzierte Charakterstudien (neben M werden auch Bond und Silva „seziert“) ist sicherlich ein Novum in der Bondhistorie und daher nicht frei von Risiken. Allerdings bietet diese Hinwendung zum Personendrama auch spannende Möglichkeiten für die Zukunft, zumal in Skyfall die in beiden Vorgängern so schmerzlich vermissten, klassischen Bondelemente und -figuren fröhliche Wiederauferstehung feiern, was letztlich beweist, dass eine Kombination beider Welten bestens funktionieren kann.
Darüber hinaus ist der Film geradezu gespickt mit Anspielungen, Zitaten und Reminiszenzen an frühere Abenteuer die jedem Fanboy und Fangirl die Freudentränen in die Augen treiben werden und endgültig letzte Zweifel an Sam Mendes Bond-Tauglichkeit ausräumen sollten. Stellvertretend für diesen gleichermaßen liebevollen wie gekonnten Brückenschlag zwischen Historie und Moderne steht die Wiederbelebung von Q (Ben Winshaw). Die Umkehrung des Altersunterschieds und der Einstellung gegenüber den klassischen Gadgets ist ein famoser Einfall, da er die üblichen Frotzeleien zwischen Bond und seinem Quartiermeister in eine völlig neue Richtung lenkt und dennoch ihre etablierte Beziehung nicht antastet.
Die eigentliche Handlung ist zwar weniger komplex wie (dank der langen Vorbereitungszeit) angekündigt, steht aber ebenfalls für die den Film bestimmende Symbiose zwischen Bond-Geschichte und zeitgeschichtlicher Aktualität. Wikileaks, Terrorgefahr und die scheinbar allgegenwärtige Macht des schnöden Mausklicks prallen auf klassische Szenarien wie Rache, Verrat und hemdsärmelige Spionagearbeit. Gleich einer patriotischen Bulldoge, wie von M in einer der berührendsten Szenen des Films erkannt, pflügt Bond zunehmend unbeirrt durch diese unterschiedlichen Pole und gibt dabei ein beherztes Plädoyer für die Macht der Tradition ab.
Will man einen Wermutstropfen zu viel im ansonsten perfekt geschüttelten Vodka-Martini finden, so ist es die Musikuntermalung. Dass der langgediente Barry-Epigone und -Bewunderer David Arnold diesmal aufgrund anderweitiger Verpflichtungen passen musste, ist ein hörbares Manko. Sam Mendes Hauskomponist Thomas Newman ist sicherlich ein Könner seines Fachs, das Gespür für ein solch traditionsreiches Produkt und die damit verbundenen Erwartungshaltungen fehlt im aber leider völlig. Wo Arnold geschickt Anleihen bei Barrys unverwechselbarem Bond-Sound nahm und diese gekonnt mit eigenen Ideen variierte, herrscht bei Newman nur Ratlosigkeit. Die unverkennbaren Bläser und vor allem das Bond-Thema klingen kaum bis viel zu selten an und machen den Score zu einer austauschbaren Dutzendware.
Glücklicherweise gilt das nicht für den Titelsong. Der neue britische Soul-Superstar Adele scheint im Gegensatz zu ihrem altgedienten Soundtrack-Kollegen eine wesentlich feinere Antenne für das musikalische Bond-Erbe zu haben und liefert den besten Eröffnungssong seit Tina Turners GoldenEye. Klassisch, schön und mit einem eleganten Chapeau! vor der großen Tradition.
Gleiches gilt für Daniel Craig, der endgültig in der Rolle angekommen scheint und sie nun auch endlich mit der selbstgewissen Souveränität und Lässigkeit interpretiert, die immer schon ein Markenzeichen der Figur war. Wie weiland Sean Connery (Goldfinger) und Roger Moore (Der Spion der mich liebte) hat also auch er drei Filme gebraucht um sich in dem überlebensgroßen Charakter zu Hause zu fühlen. Nicht die schlechteste Referenz.
Von einem Cartoon-Charakter, zu dem Bond lange Zeit und keineswegs erst seit Pierce Brosnans Amtszeit verkommen schien, ist nichts mehr zu spüren. Craigs geerdete Interpretation kommt nicht nur der Flemingschen Vorlage wieder näher, sondern erinnert auch frappierend an die Psychologisierung und Vermenschlichung der popkulturellen Helden-Ikone aus Übersee. Zwar ist Bond kein selbsternannter Vigilant wie der dunkle Ritter im Fledermauskostüm, allerdings werden auch sein auf sichereren Fundamenten stehender Rechts- und Moralkodex vor allem aber sein Loyalitätsempfinden in Grenzbereichen verhandelt, die bisher bestenfalls angerissen worden waren. Am Ende geht Bond gestärkt aus dieser Sinnkrise hervor und alle Zeiger stehen auf Anfang.
Fazit:
Sam Mendes gelingt mit Skyfall ein fulminanter Bondfilm, der den mediokren Vorgänger in allen Belangen übertrifft. Spektakuläre Actionszenen, erlesene Bilder, fesselnde Charakterstudien und der beste Villain seit Auric Goldfinger machen den Film zu einem außerordentlichen Sehvergnügen – und das keineswegs nur für Fans.
Für die hat man sich zum runden Jubiläum allerdings ebenfalls besonders viel Mühe gegeben und ihre Treue mit einer Vielzahl an optischen, verbalen und szenischen Anspielungen belohnt. Trockener Wortwitz und exotische Schauplätze feiern ebenso ein Comeback, wie lässige Eleganz und lieb gewonnene Figuren. Der britische Weltenretter hat endgültig wieder Charme und Stil.
Ein reifer, erwachsener, humorvoller, aber auch wehmütiger Geburtstagsbeitrag, der sich würdevoll vor der 50-jährigen Historie der Film-Ikone verneigt. Ein wunderbarer Bogen zwischen Vergangenheit und Moderne. Die Zukunft des Gentleman-Spions ist jedenfalls gesichert. In diesem Sinne: auf die nächsten 50, James!