„The black knight oder der würdevolle Abenteurer“
Eine der bis heute beliebtesten Konstellationen im historischen Roman ist die Verknüpfung eines fiktiven Einzelschicksals mit realen geschichtlichen Figuren und Ereignissen. Der schottische Dichter und Romancier Sir Walter Scott (1771-1832) gilt nicht nur als Urvater und Begründer dieser neuen literarischen Gattung, sondern erfand auch gleich die oben erwähnte bis dato unbekannte schriftstellerische Technik. Sein erfolgreichster Roman Ivanhoe (1819) sollte als Prototyp dieser Formel wegweisend werden – nicht nur für den Bereich der Literatur sondern vor allem auch in seinem Einfluss auf den historischen Spielfilm. Scotts Oeuvre konzentrierte sich thematisch hauptsächlich auf das Hochmittelalter, insbesondere auf die Zeit der Kreuzzüge. Scotts beliebtestes Werk wurde schon sehr früh für die Leinwand adaptiert (der erste Ivanhoe-Film stammt aus dem Jahr 1913). Die bis heute berühmteste Verfilmung des Stoffes – Richard Thorpes Ivanhoe – Der schwarze Ritter – stammt aus der Blütezeit des Abenteuerfilms.
In den 1950er Jahren produzierte das damals prestigeträchtigste Hollywoodstudio MGM eine wahre Flut historischer Abenteuerfilme, wobei man sich neben dem Antikfilm (u.a. Alexander der Große 1956 und Ben Hur 1959) vor allem auch dem Subgenre des Ritterfilms annahm. Der vielseitig einsetzbare Studioregisseur Richard Thorpe inszenierte in nur drei Jahren drei Genrehits. Obgleich Die Ritter der Tafelrunde (1954) und Liebe, Tod und Teufel (1955) ebenfalls große Publikumserfolge waren, ist es der erste Teil seiner „Rittertrilogie“, der bis heute einen enormen Bekanntheits- und Beliebtheitsrad genießt und zu recht Klassikerstatus erlangte. Mit Ivanhoe – Der schwarze Ritter schuf Thorpe einen zeitlos unterhaltsamen, farbenprächtigen Historienfilm, der zum Trendsetter für sämtliche themenverwandte Nachfolger werden sollte. Die zahllosen Ritterfilme der 50er Jahre „bedienten“ sich nicht nur beim Genreerfinder Sir Walter Scott (Der Talisman, Liebe Tod und Teufel), sondern schöpften auch ausgiebig aus dem reichen Fundus der Artuslegende (Die Ritter der Tafelrunde, Prinz Eisenherz 1954). Beiden gemein war ein ganz entscheidender Vorteil: sie hatten eine bereits festgelegte Dramaturgie. Da tummelten sich tapfere Helden, edle Damen und durchtriebene Schurken. Stolze Könige sahen sich mit intriganten Höflingen konfrontiert und treuen Knappen standen verschlagene Handlanger gegenüber. Ob Ehre, Macht, Ruhm, Liebe und Hass, die ganze Palette menschlicher Beziehungen, Emotionen, Ambitionen wurde in den schillerndsten Farben gemalt und dramatisch zugespitzt. Nicht zufällig wählte man bei MGM Ivanhoe als erstes Projekt der geplanten Ritterfilmwelle, fanden sich hier doch sämtliche oben beschriebenen Ingredienzien in nahezu perfekter Form arrangiert und verdichtet.
Zur Story:
Der englische König Richard Löwenherz (Norman Wooland) ist nicht aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Er wird von Leopold von Österreich auf einer Burg gefangen gehalten. Richards machthungriger Bruder Prinz John (Guy Rolfe) hält die Inhaftierung des Königs geheim und verweigert die Zahlung des geforderten Lösegelds. Mit Hilfe der Normannenfürsten Brian de Bois-Guilbert (Goerge Sanders) und Hugh de Bracy (Robert Douglas) will er die Macht an sich reißen und Richard beerben.
Der angelsächsische Ritter Wilfried von Ivanhoe (Robert Taylor) spürt seinen Lehnsherrn auf und reist inkognito nach England um das Lösegeld auf eigene Faust aufzutreiben. Sein Vater Cedric (Finlay Currie) verweigert die Mithilfe, da er seinem Sohn die Teilnahme an den Kreuzzügen nach wie vor nicht verziehen hat. Unterstützung findet er schließlich bei dem jüdischen Kaufmann Isaac von York, den er gegen die antisemitischen Anfeindungen de Bois-Guilberts und de Bracys verteidigt hat. Dessen Tochter Rebecca (Elizabeth Taylor) verliebt sich in Ivanhoe und finanziert gegen den Willen ihres Vaters seine Turnierausrüstung. In Ashby begegnet der als schwarzer Ritter getarnte Ivanhoe Prinz Johns normannischen Günstlingen im Turnier und stellt die Ehre der Angelsachsen wieder her, versöhnt damit seinen Vater und entfacht endgültig die Liebe seiner Jugendfreundin Rowena (Joan Fontaine). De Bois-Guilbert erfährt von Ivanhoes Plan das Lösegeld zu organisieren und entführt Isaac, Rebecca, Rowena sowie Cedric mitsamt Gefolge auf seine Burg. Aber Ivanhoe hat noch ein Ass im Ärmel: Der ehemalige Sachsenfürst Robin von Locksley (Harold Warrender) lebt mit einer Schar Geächteter in den Wäldern und ist zum Sturm auf die Feste entschlossen …
Ivanhoe ist ein comicbuntes Ritterabenteuer, das zwar weder historisch korrekt noch pädagogisch wertvoll daherkommt, aber aufgrund seiner enormen Schauwerte auch nach über 50 Jahren bestens zu unterhalten weiß. Die glänzenden, farbenfrohen Rüstungen, die wehenden Fahnen und wallenden Gewänder, die mächtigen Burganlagen und nicht zuletzt die spektakulären Kampfeinlagen sind wie geschaffen für Technicolor-Verfahren und Breitbildformat.
Der Film bietet drei Actionhöhepunkte, die von Second Unit Director Yakima Canutt perfekt choreographiert und inszeniert wurden. Die Stuntmanlegende mauserte sich ab den 1950er Jahren zum Spezialisten für historische Stoffe und wirkte unter anderem an Die Ritter der Tafelrunde, Spartacus sowie El Cid mit und zeichnete vor allem für das berühmte Wagenrennen in Ben Hur verantwortlich. Das Ritterturnier von Ashby gilt nicht nur als Höhepunkt in Ivanhoe, sondern wurde zur Referenzsequenz für alle folgenden Genrevertreter.Hier stimmt einfach alles. Spannung, Dramaturgie, Schauwert, Schnitt und Rasanz verschmelzen hier zu einer selten erreichten Einheit. Die nervöse Angespanntheit der vornehmlich angelsächsischen Zuschauer wird förmlich spürbar und erreicht einen ersten Siedepunkt, als wie aus dem Nichts ein schwarz gekleideter Ritter heranprescht und sämtliche siegreichen Normannen zum Lanzenduell fordert. Mit Ivanhoes Verwundung kann diese Stimmung sogar noch gesteigert werden. Auch die Wucht und Brutalität eines solchen Waffengangs wird eindrucksvoll vermittelt.
Die auf dem Gelände der britischen MGM-Studios in Borehamwood errichtete Burganlage „Torquilstone“ ist Schauplatz einer 15-minütigen Belagerungs- und Erstürmungssequenz die weniger auf Spannung, als vielmehr auf Überwältigung setzt. Es ist dies die größte Massenszene des Films, die mit allem aufwartet was das Genre zu bieten hat. Bogenschützen, Schwertkämpfer, Zugbrücken, Wassergräben, Sturmleitern und Flammenherde. Canutt und seine Crew brennen hier ein wahres Feuerwerk an Stunts, Spezialeffekten und Kampfchoreographien ab.
Am Ende des Films kommt es schließlich zum unvermeidlichen Zweikampf zwischen Held und Handlanger des Oberschurken. Es ist dies die intimste Actionszene des Films. Die Dramatik steht hier im Vordergrund. Ivanhoe verteidigt die wegen Hexerei zum Tode verurteilte Rebecca. Der von Prinz John bestellte de Bois-Guilbert hat sich in die Delinquentin verliebt und kann nur verlieren. Tötet er Ivanhoe, muss auch Rebecca sterben. Die Dramaturgie innerhalb des Kampfes ist auch hier wieder perfekt arrangiert. De Bois-Guilbert wählt mit dem Morgenstern eine der brutalsten Waffen des Mittelalters, während Ivanhoe mit der wesentlich plumperen Axt auskommen muss. Natürlich gerät er zunächst in arge Bedrängnis und besteht letztlich mit einer Mischung aus Glück und Cleverness.
Inszenierung, Einsatz und Dramaturgie der Actionsequenzen sind so oder ähnlich auch in zahlreichen Western zu finden. Überhaupt hat der Ritterfilm einige Schnittstellen mit dem amerikanischsten aller Filmgenres. So haben die einsamen, aufrechten Westernhelden oft Probleme, die mit der voranschreitenden Zivilisierung aufkommenden, veränderten Rahmenbedingungen zu akzeptieren. Auch Ivanhoe ist ein ehrbarer, würdevoller Verfechter alter Tugenden und Werte und muss sich mit Vertretern einer neuen Ära (den Normannen) auseinandersetzen. Überhaupt taugt die Auseinadersetzung zwischen Angelsachsen und Normannen gewissermaßen als Chiffre für eine Vielzahl von Konflikten der amerikanischen Historie. Neben frontier-Mythos und Westwärtsbewegung wären da auch Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg zu nennen.
Hauptdarsteller Robert Taylor hat nicht zufällig in vielen Western mitgewirkt, bevor er ab den 1950er Jahren auf mittelalterliche und antike Stoffe abboniert schien. Ganz anders als sein ebenso erfolgreicher Genrekonkurrent Stewart Granger strahlt er eine ernsthafte Würde und Melancholie aus, die wie geschaffen scheint für edelmütige Ritter oder adelige Römer (Quo Vadis). Grangers Eleganz und gewitzter Charme gehen ihm dagegen völlig ab. In Mantel- und Degenrollen wäre Taylor eine glatte Fehlbesetzung. Schwere Schwerter und Lanzen passen weit besser zu seiner Ausstrahlung als der filigrane Degen.
Auch im Ton gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen Taylors Ritterfilmen und Grangers Swashbuckler-Streifen. Schelmisch-ironische Bemerkungen und flapsige Bonmots sind zweifellos das Salz in der Suppe bei Klassikern wie Scaramouche oder Beau Brummel. Ein Ritter dagegen spricht nur das Nötigste und drückt sich so gewählt wie möglich aus (für den – eher spärlichen – Witz in Ivanhoe ist dann auch nicht der Titelheld, sondern sein treuer Knappe Wamba verantwortlich). Taylors Darstellung mag in Teilen etwas steif und hölzern wirken, der historischen Wirklichkeit kommt der Film hier allerdings noch am nächsten.
Fazit:
Ivanhoe ist ein knallbuntes und in weiten Teilen zeitlos frisches Abenteuer aus der Glanzzeit des Genres. Eine wahre Flut von Ritterfilmen sollte folgen, das Original blieb allerdings in Punkto Schauwerten und Actionszenen unerreicht. So hat insbesondere das von Stuntmanlegende Yakima Canutt hervorragend inszenierte und choreographierte Ritterturnier von Ashby auch nach über 50 Jahren nichts von seiner Spannung, Rasanz und Dramatik verloren. Mit Robert Taylor wurde eine Hauptdarsteller verpflichtet, dessen schwer- und edelmütige Ausstrahlung perfekt für die Rolle des integren und würdevollen Ritters passte. Sir Walter Scotts epische Romanvorlage wurde geschickt auf wesentliche Handlungsstränge und Figurenkonstellationen verdichtet. Eine historische korrekte Aufarbeitung der Zeit Richard Löwenherz bieten weder Vorlage noch Verfilmung. Schon die Verknüpfung mit dem Robin Hood-Mythos spricht hier Bände. Ivanhoe ist verschwenderisches Ausstattungskino im besten Sinne, das trotz einiger etwas hölzerner Dialoge auch heute noch einen enormen Unterhaltungswert besitzt.
(Rating: 9 / 10 Punkten)
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