Depeche Mode in Stuttgart – eine schwarze Messe der Glückseligkeit

Konzertkritik: Depeche Mode in der Hans-Martin-Schleyerhalle am 28.11.17

Draußen ist es kalt, dunkel und nass. Also trübe und trist. Böse Zungen würden sagen, typisches Depeche Mode-Wetter halt, passend zum düsteren, schwermütigen Sound. Wie Recht sie haben, aber anders als gedacht. Wären sie nur einmal Teil eines Mode-Festakts gewesen, wären sie für alle Zeiten von dieser Missinterpretation kuriert. Am Dienstag in der Stuttgarter Schleyerhalle war wieder eine solche Gelegenheit. Glückliche, erwartungsvolle und frohgemute Gesichter schon beim Anstehen im schwäbischen Nieselregen. Im auffälligen Kontrast zum vorherrschenden schwarzen Dresscode war an allen Ecken und Enden eine euphorisierte Vorfreude zu spüren, die schon einen recht deutlichen Hinweis auf die ganz spezielle Aura dieser Band gibt. Nicht umsonst spricht man hier auch nicht von Fans, sondern von „Devotees“, also hingebungsvoll Ergebenen. Hier wird kein Konzert gegeben, hier wird eine Messe abgehalten.

Und die beginnt pünktlich um 20.45 Uhr. Anstatt Glockengeläut gibt es „Revolution“ von den Beatles. Das passt natürlich zum politischen Kontext des neuen Albums und Tour-Namensgebers „Spirit“, aber zeugt auch vom neuem Selbstbewusstsein einer Band, der lange Zeit ihr enormer Erfolg eher ein wenig peinlich, mindestens aber suspekt war. Längst nehmen Songschreiber Martin Gore und Frontmann Dave Gahan journalistische Vergleichsfragen hinsichtlich Jagger/Richards oder eben Lennon/McCartney absolut ernst, nicht nur weil die immer häufiger gestellt werden, sondern weil sie sich ihrer musikhistorischen Bedeutung inzwischen durchaus bewusst sind. Das lange Zeit ein wenig linkische Understatement und Unbehagen ist inzwischen einer gelösten Souveränität gewichen, die v.a. auch bei den Live-Konzerten spürbar wird. Beim Auftritt in Stuttgart konnte man dies wieder wunderbar beobachten.

Dass Dave Gahan zu den charismatischsten Frontmännern im Musikzirkus zählt, ist schon ein wenig länger bekannt. Die Band weiß das, nicht umsonst kommt er stets als letzter auf die Bühne und badet noch in stehenden Ovationen, wenn seine Kollegen schon wieder verschwunden sind. Neuerdings gibt er aber nicht einfach „nur“ den infernalischen Anheizer, Vortänzer, Klatsch- und Mitsing-Animateur, sondern versprüht eine ansteckende gute Laune durch häufiges Shakern, Scherzen und breitestes Grinsen. Ähnlich aufgetaut agiert auch sein unverzichtbares Gegenstück Martin Gore. Die Zeiten als er zwei Stunden mit ernster Miene hinter einem Keyboard seine Arbeit verrichtete sind vorbei. Längst steht er mit Gahan gemeinsam in vorderster Reihe, meist an der Gitarre und spielt sich mit ihm die Gute-Laune-Bälle zu. So viel zum angeblichen Schwermut-Charakter eines Mode-Auftritts.

Nach dem stimmungsvollen Auftakt mit dem bärenstarken und kraftvollen „Going Backwards“ vom aktuellen Album tobt die Halle schon beim zweiten Song. Das auch schon 20 Jahre „It´s no good“ reißt bereits jetzt die letzten Trägen von den Sitzen und gibt einen ersten Vorgeschmack auf den gut vorbereiteten Stadionchor. Überhaupt scheinen Depeche Mode zu bedauern, nie mit dem in der Fangunst immer weiter gestiegenen Album „ULTRA“ (1997) auf die Tour gewesen zu sein, denn im Verlauf werden noch vier weitere Tracks folgen („Barrel of a Gun“, „Useless“, „Insight“ und „Home“). Die Setlist wurde im Vergleich zu den sommerlichen Stadionkonzerten etwas gestrafft und verändert. Der Dramaturgie hat das sehr gut getan. Die erste Hälfte wirkt nun nicht mehr eher wie ein Aufwärmprogramm für die unwiderstehlichen Gassenhauer im Schlussdrittel, sondern ist bestens austariert zwischen Tempi, Rhythmen und Beats. So folgt auf den enorm tanzbaren Jacques Lu Cont-Remix des im Original etwas schleppenden“A Pain that I´m used to“ eine bluesige Rockversion von „Useless“, um dann mit „Precious“ dem größten Pophit der letzten Alben Platz zu machen.

Bei über zwanzig Top-Ten-Singles allein in Deutschland ist die Setlist ohnehin eine Gradwanderung. Naturgemäß ist das Überalbum „Violator“ (1990) immer stark vertreten, denn wer Songs für die Ewigkeit wie „Personal Jesus“ oder „Enjoy the Silence“ im Repertoire hat, würde für ihr Weglassen gesteinigt werden. Auch braucht Mittfünfziger Gahan immer eine kleine Pause von seinem anstrengenden Bühnen-Workout, die der ebenfalls stimmgewaltige Martin Gore für ein balladeskes Intermezzo nutzt. Diesmal entschlackte er das sphärische „ULTRA“-Finale „Insight“ auf sein melodisches Grundgerüst, lediglich begleitet vom längst zum Live-Inventar zählenden Keyboarder und Gesangspartner Peter Gordeno. Die rund 15000 in Andacht Ergriffenen wurden von Bühnenprediger dann wieder ins Zimmer geholt („In your Room“) stampfend nach ihrem revolutionären Geist befragt, um sie dann schließlich mit einem 35 Jahre alten Anti-Kapitalismus-Kampflied endgültig in Raserei zu versetzen. Versehen mit einem neuen Intro wussten einige zunächst nicht so recht, was auf sie zukommen würde, bis dann endlich die ach so vertrauten Tröt-Fanfaren von „Everything Counts“ ertönten.

Das Erstaundliche ist weniger, dass die Halle nun einem frenetischen Tollhaus glich – das kennt der erfahrene Fan seit Jahrzehnten -, sondern wie ungemein frisch und zeitlos die betagten Synth-Hymnen ins weite Rund dröhnen. Das sich schleppend zu Großem auftürmende „Stripped“ (1986), das ultimative Live-Brett „Never let me down again“ (1987), die melodische Extravaganz „Walking in my Shoes“ (1993) und der treibende Elektro-Rock von „A Question of Time“ (1986) wirken als wären sie gerade erst Martin Gores Wunder-Feder entsprungen. Den Rest erledigt dann Liveband-Stammmitglied Christian Eigner. Der österreichische Schlagzeuger trägt seit gut 20 Jahren wesentlich zur unwiderstehlichen Verschmelzung von Synthpop und Rock bei und ergänzt dabei kongenial seinen Frontmann. Ach ja, am Ende hat man noch ein gewisses „Personal Jesus“ in petto, das den allermeisten Bands als einziger Hit schon vollauf zum musikalischen Ritterschlag genügen würde.

Nach gut zwei Stunden „Black Celebration“ (den Song zur Party hat man sich diesmal gespart) verlässt die devote Masse glücklich und zufrieden den Andachtsort. Und wieder steht die schwarze Kleidung im hübschen Kontrast zur gelösten, freudigen Stimmung. „See you next time!“ hat Dave ihnen in vertrauter Manier zum Abschied zugerufen, dazwischen hat sich sogar ein deutsches „Dankeschön!“ geschummelt. Bei soviel Zuneigung auf beiden Seiten wird das meist vierjährige Warten zur Tortur. Wenigstens kann man sich die Zeit mit 14 Studioalben vertreiben, von denen kein einziges schlechte Laune verbreitet. Ganz im Gegenteil. Versprochen.

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