Wer kennt das nicht. Die immergleiche, öde Fahrt zum und vom Arbeitsplatz im überfüllten Zug des Grauens. Der französische Actionthriller-Spezialist Jaume Collet-Serra hat aus diesem Allerweltsszenario einen Spannungsfilm gebastelt und dafür mal wieder Liam Neeson engagiert. Das klingt doch nach einem lohnenden Kinoabend mit netter Begleitung. Nicht nur, aber auch für den geplagten Pendler von nebenan.
„Ein Pendler schlägt aus, oder Liam nimmt den Zug“
Der Pendler ist ein bemitleidenswertes Individuum. Tag für Tag sitzt er zusammengepfercht mit hunderten von Schicksalsgenossen im Großraumabteil eines Regionalzuges. Die Strecke, die Gesichter, die Fahrzeit, bald kennt er alles in und auswendig. Ödnis im Hamsterrad, eine Endlosschleife der Langeweile. Dabei von einer fremden Frau angesprochen zu werden, gleicht da fast einem Lotto-Jackpot, zumal wenn sie wie Vera Farmiga aussieht.
Michael MacCauley heißt der glückliche Gewinner, wobei es mit dem einem schnell vorbei ist und er sich für das Andere mächtig ins Zeug legen muss. Denn die „kleine Sache“, die er für die geheinmnisvolle Schönheit erledigen soll, entpuppt sich schnell als perfides und vor allem tödliches Katz-und-Maus-Spiel.
Ein unscheinbarer Normalbürger – sofern man Liam Neeson als unscheinbar bezeichnen kann – gerät unvermittelt in eine undurchsichtige Extremsituation, bei der er lange Zeit ebenso im Dunklen tappt wie der ahnungslose Zuschauer. Da dauert es natürlich keine Nano-Sekunde, bis der obligatorische Hitchcock-Vergleich gezogen wird. Oberflächlich betrachtet mag das stimmen, aber „The Commuter“ folgt seinen eigenen Gesetzen und die definieren sich vor allem durch das eingespielte Duo aus Star und Regisseur.
Jaume Collet-Serra und Liam Neeson arbeiten hier bereits das vierte Mal zusammen und ihre Kollaboration funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Der Franzose ist nicht einfach nur ein begabter Action-Handwerker, der sich lediglich auf schnöde Stuntarbeit und Pyrotechnik versteht. Das Luc Besson-Protegé ist ein Meister der visuellen Spannungserzeugung. Ob auf hoher See, in größer Höhe („Non-Stop“), oder wie hier im schnöden Zugabteil, stets sorgt die so effizient wie originell eingesetzte Kamera für ein Mittendrin statt „nur dabei“.
Liam Neeson ist dabei das essentielle Indentifikations-Bindeglied. Für die häufig vertrackten, aber eben auch überkonstruierten Plots braucht es einen darstellerischen Ruhepol, einen gestandenen Mimen, der dem aberwitzigen Szenario mit Würde und Gleichmut begegnet. Der hünenhafte Ire scheint dafür geradezu prädestiniert. Er wirkt integer, souverän, gelassen und abgebrüht. Er spricht kein überflüssiges Wort, handelt intuitiv und entschlossen. Falls nötig, kann er auch rüde werden und ordentlich austeilen. Ein Mann der Tat. Früher hätte man dafür Clint Eastwood oder Charles Bronson engagiert, aber der eine war immer einen Tick zu cool und der andere einen Tick zu Gangster. Neeson vereint sämtliche Stärken der beiden und legt noch ein gehöriges Maß an Gravitas obendrauf.
Als „Commuter“ sind diese seine Vorzüge gefragter denn je, schließlich gibt er einen 60-jährigen Versicherungskaufmann, der im Verlauf der Zugfahrt den James Bond in sich entdeckt. Neeson nimmt man diese Mutation ab, was ganz entscheidend für das Funktionieren der sukzessive beschleunigenden Thriller-Fahrt ist. Ähnlich den drei vorigen Serra-Neeson-Projekten („Unknown Identity“, „Non-Stop“, „Run all Night“), entwickelt sich auch „The Commuter“ vom verzwickten Thriller-Puzzle zum schnörkellosen Action-Brett mit ein wenig überkandidelter Auflösung. Neesons Grandezza und Collet-Serras Cleverness umschiffen dabei souverän sämtliche dramaturgischen Untiefen und liefern auch mit ihrer vierten Zusammenarbeit eine vergnügliche Feierabendsause für Genre-Kino-Freunde. Wäre auch was für den geschundenen Pendler von heute, denn in Zeiten von Smombies und anderen digitalen Mainstreamern ist ja alles jederzeit und überall konsumierbar. Außerdem ist man dann weitestgehend sicher davor, sich von fremden Frauen ansprechen zu lassen. Schließlich hat nicht jeder einen Bond in sich, den er bei Bedarf rauslassen kann.