Und wieder geht ein Kinojahr zu Ende, oder sagen wir besser ein Filmjahr. Denn durchgängig geöffnet waren die Lichtspielhäuser fast nirgends in diesen pandemischen Zeiten. Mal auf, mal zu, mal mit 50%tiger, mal mit 25%tiger Auslastung, mal mit, mal ohne Verzehr. Die Kinobetreiber konnten einem schon leid tun, vor allem aber auch wir, die Konsumenten. Kunst und Kultur haben bei der Politik keinen hohen Stellenwert, das dürfte nun auch den größten Optimisten, oder besser Euphemisten klar geworden sein. Aber wie Ian Malcom in „Jurassic Park“ so eloquent befand: „Das Leben findet einen Weg“. Und Filme sind Leben, jedenfalls für uns, die wir sie lieben.
Zunächst aber wurde erst einmal verschoben, an Streamingdienste verkauft, oder gleich als Datenträger veröffentlicht. Da ist es überaus praktisch, wenn man einen hauseigenen Kanal zur Zweit-, Dritt- und Ausweichverwertung hat, wie Branchenriese Disney. Teure Blockbuster wie „Cruella,“ „Jungle Cruise“ und das mehrfach verschobene Superheldenabenteuer „Black Widow“ wurden zeitgleich im Kino und auf Disney+ veröffentlicht. So ganz zufrieden waren die Erbsenzähler des Mäusekonzerns wohl nicht gewesen, jedenfalls verfuhr man mit den nächsten beiden Marvel-Spektakeln „Shang-Shi“ und „Eternals“ wieder anders und gönnte ihnen ein 6-wöchiges „Cinema only“-Zeitfester.
Da tat sich Streamingplatzhirsch Netflix schon leichter. Ohnehin in dem (stetig bestrittenen) Ruf stehend das Kino obsolet machen zu wollen, kam die Pandemie gerade recht. Die hoch bezahlten Stars wurden aufgrund eingeschränkter Verdienstmöglichkeiten wohl schon ungeduldig und heuerten bereitwillig beim Streaming-Flaggschiff an. So durfte der DC-entnervte Zack Snyder befreit von allen PC-Hemmnissen eine gefräßige Zombiehorde auf Las Vegas loslassen („Army of the Dead“) – ein braveres Sequel von Deutschlands Lieblingsschwiegersohn Matthias Schweighöfer gleich inklusive („Army of Thieves“) -, die ebenfalls nicht gerade unbekannten Ryan Reynolds und Gal Godot mit dem aktuell einzigen globalen Megastar zum kruden Indiana Jones meets „Ocean´s Eleven“-Ausflug aufbrechen („Red Notice“) und schließlich, gewissermaßen als Kompensation für die reduzierte Silvesterknallerei, Leo DiCaprio mit Jennifer Lawrence die Fassaden von Politik, Gesellschaft und Industrie im Angesicht globaler Krisen mit einer atomaren Satire-Abrissbirne einreißen („Don´t Look Up“). Ach ja, Amazon mischte natürlich auch noch kräftig mit, aber deren Output war entweder so schlecht, oder so belanglos, dass der geneigte Leser hier nicht weiter belästigt werden soll.
Überhaupt war das Filmjahr nicht gerade ein bahnbrechendes. Dennoch gab es ein paar Perlen, die eine Erwähnung wert sind und, falls nicht geschehen, eine Sichtung verdient haben. Da wäre zunächst Altmeister Ridley Scott, der es sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, mit dem noch etwas älteren Kollegen Eastwood auf seinen finalen Outputrunden mindestens gleich zu ziehen. Beim Publikum feierte man vor allem die süffisante Kolportage, böse Zungen sprechen von Demontage, der Gucci-Familie („House of Gucci“), dabei ist seine Mittelalterparabel mit MeToo-Kontext der noch weitaus interessantere Film („The last Duell“).
Zu den renommiertesten Filmemachern unserer Zeit zählen auch der Kandier Denis Villeneuve und der Brite Guy Ritchie. Bildgewaltig und elegisch der eine, wortgewaltig und pragmatisch der andere, gaben beide mal wieder eine Visitenkarte ihres Könnens ab. Auch wenn die erste Expedition zu Frank Herbert Wüstenplaneten nach dem vermeintlichen Lynch-Fiasko von 1984 nicht jeden euphorisiert hat – zu farblos waren die Figuren, zu höhepunktslos die Handlung -, so war „Dune“ auf jeden Fall ein Fanal für die Daseinsberechtigung des Kinos. Ähnliches gilt für „Cash Truck“, bei dem Ritchie endlich wieder mit seiner Entdeckung Jason Statham vereint war. So schön wummernd, krachend und dröhnend knallt auch der stromlinienförmige Actionfilm nur im Kinosaal.
Bleiben noch die großen Helden. Natürlich wurde dieses Feld mal wieder fast ausschließlich von vormals gezeichneten Sonderlingen bestellt. Aber diesmal waren es nicht die zupackenden Damen („Black Widow“, „Wonder Woman 84“), oder die neu in Stellung gebrachte Rächer-Ablöse („Shang-Shi“, „Eternals“), die die Ernte einfuhren. Sogar der jugendliche Spinnenmann lieferte am Ende nur Dienst nach Vorschrift, wenn auch unwiderstehlich auf den Punkt und den Geldhahn. Nein, diesmal brauchte es schon einen königlichen Hai und ein paar abgehalfterte Schwerverbrecher, um aus dem Genre-Einerlei doch noch ein Geschmackserlebnis der etwas anderen Art zu machen („The Suicide Squad“).
Wenn es überhaupt einen Heroen gibt, der den bunten Reigen all der Supermänner, -frauen und -viecher aufmischen kann, dann ist es der britische Weltenretter mit Tötungslizenz. Da wo er herkommt, wurden Krieg und Rache noch kalt serviert, aber auch er musste sich anpassen. Mit Daniel Craig ist das offenbar bestens gelungen. Kein Hollywoodfilm lockte in diesem Jahr mehr Zuschauer vor die Leinwände als die 25. Mission der legendären Doppelnull („Keine Zeit zu sterben“). Sicher, sein Gefühlstriptychon aus verliebt, verraten, und verwirrt hat nicht nur Begeisterung hervor gerufen. Die Rollen als Vater und Märtyrer gehörten auch nie zum Auftrag und sorgten für die ein oder andere Schnappatmung. Aber angesichts eines Stammpublikums jenseits der Juvenilität und abseits sozial-medialer Blasen kann man nur anerkennend feststellen: Er kam, sah und siegte.
Der dienstälteste Kinoheld der Filmgeschichte liegt aber auch auf einer übergeordneten Ebene voll im Jahrestrend. Genau genommen triggert er gleich zwei Kraftquellen moderner, audiovisueller Kunstformen. Nein, nicht Yin und Yang, auch wenn der chinesische Einfluss auf das globale Blockbusterkino beunruhigende Ausmaße angenommen hat. Nein, die beiden aufeinander bezogenen und sich perfekt ergänzenden Kräfte hören auf die klingenden Namen „Retro“ und „Meta“. Vor allem „Meta“ ist mega, also mega-in. Und so übt sich jeder, der etwas auf sich hält in selbstreferentiellen Seiltänzen. Besonders haben sich da unsere beiden Vorturner Peter und James hervor getan. Während der eine in den Untiefen eines Multiversums diversen Alter Egos, Erzfeinden und Schicksalsschlägen begegnet, arbeitet sich der andere an zahllosen Referenzen an die zweite Inkarnation seiner Figur ab. Streng genommen ist das ein sehr konservativer Ansatz, denn er bedient die Sehnsucht nach einer imaginären „guten alten Zeit“, indem er hemmungslose sämtliche verfügbaren Nostalgie-Knöpfe drückt. Womit wir auch gleich bei der Retrofixierung wären.
Bei James Bond gehört die eigene Historie praktisch zum Mythos und somit zur DNA. Aber musste Neo wirklich zurück in die Matrix, Akeem wieder nach Zamunda, Paul nach Arrakis, oder Egon seine Enkelkinder zur Geisterjagd motivieren? Zwar ist der Zeitgeist kein Machtgeist, aber offenbar ebenso mächtig. Und irgendwie hat es ja auch etwas Magisches, wenn die ersten Begegnungen mit dem Aston Martin DB5, den Sandwürmern, der Bullett-Time oder dem Slimer noch einmal durch und mit den Augen der eigenen Kinder erlebt und bestaunt werden können. Womit auch das Kino neben dem schnöden Unterhaltungsauftrag noch eine übergeordnete Funktion erfüllt: es verbindet Generationen. Und das ist doch wirklich mega, in jedem Falle aber meta. In diesem Sinne: Happy New Movie Year!