Zwei nicht mehr ganz so glorreiche Halunken
Once upon a time … , zu gut Deutsch „Es war einmal vor langer, langer Zeit …“, kaum jemand, der hier nicht sofort an klassische Märchen denken dürfte. Der geneigte Cineast hat hier aber ganz sicher noch andere, womöglich prominentere Assoziationen. Der italienische Regie-Titan Sergio Leone hat zwei seiner Filmepen so betitelt: „C´era una volta il West“ („Spiel mir das Lied vom Tod“) und „Once upon a time in America“. Beide befassen sich mit den ikonischsten Mythen des amerikanischen Kinos – dem Western und dem Gangsterfilm -, die sie zugleich dekonstruieren wie zelebrieren.
Positiv Besessene Autorenfilmer wie Leone, die mit ihren ureigenen Visionen auch breitere Publikumsschichten erreichen und faszinieren, sind praktisch ausgestorben. Spontan fällt einem da eigentlich nur Quentin Tarantino ein. Der gern zum bloßen Meta-Guru und Recycling-Fetischist reduzierte Filmemacher ist einer der letzten originären und originellen Regisseure der inzwischen gänzlich durchindustrialisierten Traumfabrik. Natürlich frönt er exaltiert seinen filmischen Leidenschaften, die sich über weite Strecken abseits des etablierten Mainstream erstrecken. Die Leidenschaft für Trash, Exploitation und genreübergreifende B- bis C-Ware sind aber nur die halbe Wahrheit. Tarantinos Filme zeugen von einer handwerklichen und strukturellen Expertise, die nicht weiter von den verehrten Billig-Vorbildern entfernt sein könnten. Vor allem aber zeugen sie von einer bedingungslosen und überbordenden Liebe zum Kino an sich und sein neuestes Werk ist dafür so etwas wie die Quintessenz. Ein märchenhafter Film, der mitunter auch Leone huldigt.
„Once upon a time in Hollywood“ bündelt sämtliche Tarantino zugeschriebenen Faibles, Eigenheiten und Merkmale. Das Personal besteht aus brutalen Gangstern, zynischen Westernhelden, mystischen Schönheiten und allerlei schmierigen Sidekicks. Es wird wieder sehr viel geredet, was mal urkonisch, mal derb sarkastisch, mal scheinbar ziellos, mal fies pointiert daher kommt. Die eigentliche Handlung steuert ausschweifend und mehrsträngig auf ein Finale zu, das erzählerisch überraschend, inszenatorisch dafür erwartet eruptiv und blutig ausfällt. Alles wie gehabt also?
Sicher, ein kongeniales Buddy-Duo das in Sachen Chemie und Wortwitz geradezu traumhaft harmoniert, hatten wir schon in „Pulp Fiction“. Ein Feuerwerk an Easter Eggs und Anspielungen auf Trashperlen aus US-TV und europäischen Genrekino bot v.a. „Inglourious Basterds“. Seine Liebe zum Italowestern und da vor allem zu den Sergios Leone und Corbucci hat uns Tarantino wiederum bereits eindringlich in „Kill Bill“, „Django Unchained“und „Hateful 8″ bewiesen. Und das soulige Lebensgefühl einer ganzen Dekade bzw. Filmgattung mit perfekt ausgewählten Songs und entsprechender Bildsprache regelrecht fühlbar zu machen, gelang ihm schon in „Jackie Brown“. Zudem gibt es reihenweise Cameos bekannter Namen (wie Timothy Olyphant oder Al Pacino) und ausgewiesener Tarantino-Buddies (wie Michael Madson und Kurt Russel).
Oberflächlich betrachtet bietet „Once upon a time in Hollywood“ also wenig neues im Tarantino-Kosmos. Wäre man besonders zynisch, könnte man sagen, der Meta-Papst ist in seinem eigenen Meta-Irrgarten gefangen. Wer also immer schon Tarantino-kritisch in dem Sinne „Was soll der ganze Hype?“ unterwegs war, der dürfte sich bestätigt fühlen. Rein akademisch und rational kann man zu dem Urteil kommen, dass man lediglich fast drei Stunden zwei abgehalfterten Helden bei ihrem langsamen Niedergang zusieht, ohne dass an äußerer Handlung allzu viel passieren würde, geschweige denn ein relevanter Spannungsbogen erkennbar wäre. Rein akademisch und rational lässt sich die Faszination dieses Films aber eben auch nicht mal ansatzweise erschließen, es ist ohnehin fraglich ob das überhaupt für einen Film in Gänze funktioniert. Einem Medium das so sehr auf bildliche und emotionale Überwältigung setzt, kann man mit nur sachlicher Argumentation nicht gerecht werden.
Zugegeben, Hintergrundwissen zur Kino- und TV-Landschaft der 50er und 60er Jahre erhöht den Filmgenuss ganz sicher. Gepaart mit Liebe und Leidenschaft wird das Ganze zum persönlichen Festival. Man muss aber kein nerdiger Cineast sein, um an Tarantinos neuntem Langfilm Freude zu haben. Ob dies nun sein persönlichstes Werk ist, ist gar nicht relevant, relevant ist, dass es sich so anfühlt. Beinahe sofort stellt sich ein wohliges Gefühl der Vertrautheit ein, wenn man mit Westerndarsteller Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und seinem Stuntdouble Cliff Boothe (Brad Pitt) in das bis ins kleinste Detail perfekt nachgestellte Hollywood der späten 60er Jahre eintaucht. Aus praktischer jeder Szene und jeder Einstellung strömt einem Tarantinos Liebe und Leidenschaft für die Epoche und ihren filmischen Output entgegen.
Dalton steht hier stellvertretend für ehemalige TV-Westernstars (u.a. Clint Eastwood, Buddy Van Horn, v.a. aber Hal Needham und Burt Reynolds), die ihren schwindenden Ruhm mit Gastauftritten in anderen Serien zu konservieren versuchen und gleichzeitig auf eine zweite Leinwandkarriere hoffen. Die Serie „Bounty Law“ (ein spezieller Tarantino-Mix aus „Gun Smoke“ und Italo-Anleihen) ist längst abgesetzt und Rick Dalton greift nach jedem Karrierestrohhalm, der sich ihm bietet. DiCaprio nimmt die schillernde Rolle dankbar an und liefert eine famose Vorstellung als ein zwischen Selbstzweifeln und Arroganz, zwischen Selbstmitleid und Professionalität, zwischen Alkoholismus und Disziplin hin und her gerissener Spielball im Hollywoodsystem. In einer grandiosen Szene spielt er sich als lächerlich ausstaffierter Bad Guy einer zweitklassigen Westernserie die Seele aus dem Leib und wird dabei von seinem Regisseur mit „Gib mir den bösen Hamlet!“ angefeuert. Herrlich. Das gilt auch für seine spätere Weigerung in billigen Spaghetti-Streifen mitzuwirken, nicht nur weil man sofort an Eastwoods Karriereschub denkt, sondern auch an Tarantinos Begeisterung für den Italo-Western. Regisseur wie Darsteller jonglieren hier lustvoll mit Referenzen und Erwartungen, was den Meta-Spaß teilweise bis zum Exzess ausreizt.
Brad Pitt hat als Daltons Stuntdouble und Mädchen für alles (er chauffiert den wegen Trunkenheit führerscheinlosen Kumpel überall hin, gibt seinen persönlichen Handwerker und Kummerkasten) den vermeintlich simpleren Part. Tatsächlich ist Boothe zuvorderst eine ganz coole Socke, immer lässig, immer souverän, immer im Bilde. Gewissermaßen eine Paraderolle für Pitt. In Wahrheit ist aber auch er längst auf dem Abstellgleis. Er arbeitet nur, wenn Dalton arbeitet und nicht einmal das garantiert. An vielen Sets ist er als unkooperativ verrufen, zudem soll er seine Frau ermordet haben. Wenn er Dalton abends in sein Domizil in den Hollywood Hills gebracht hat, steigt er in sein klappriges Caprio um und fährt eine halbe Ewigkeit zu einem siffigen Trailer, in dem er hinter einem Autokino mit seinem Kampfhund haust.
Boothe ist wie Dalton ein Relikt vergangener Tage, aber gänzlich abschreiben sollte man ihn dennoch nicht. In einer Szene zeigt er einem überheblich wirkenden Bruce Lee die Grenzen auf. Die nicht gerade ehrfurchtsvolle Darstellung der Kampfsportlegende hat einige Tarantino-Fans verwundert und viele Lee-Fans verärgert, sollte aber im märchenhaften Kontext des Films nicht überbewertet und mehr in ihrer dramaturgischen Bedeutung gesehen werden. Denn hier bricht sich der BadAss-Charakter Boothes unvermittelt Bahn, was für das Funktionieren des Finales essentiell ist.
Das Duo Pitt-DiCaprio beherrscht praktisch den ganzen Film, was die beiden wissen und weidlich nutzen. Man könnte ihnen auch noch drei weitere Stunden bei ihrem Überlebenskamp in einem sich veränderten Hollywood zusehen, ohne sich eine Sekunde zu langweilen. Für die dritte im Star-Bunde bleibt da vermeintlich nur der Sozius. Schließlich hat Margot Robbie als Sharon Tate nicht nur deutlich weniger Screentime, sondern auch sonst kaum etwas zu tun. Dennoch ist sie essentiell für diesen Film. Sie dient praktisch als Doppelchiffre für den Gesamtkontext. Zum einen steht sie für die fast schon kindliche Freude am guten alten Hollywoodkino, zementiert in einer Szene in der sie eine Vorstellung ihres eigenen Films besucht und inkognito die Zuschauerreaktionen genießt. Zum anderen deutet sie als bekanntes Opfer der bestialischen Manson-Morde stets ein düsteres, brutales Ende an, das auch für einen Umbruch der Filmindustrie steht. Tarantino spielt geschickt mit dem Wissen der Zuschauer um die Morde und fügt so zumindest einen unterschwelligen Spannungsboden ein. Abgesehen vom Filmende zieht er nur einmal an dieser Schraube, dafür allerdings mit virtuoser Vehemenz. Als er Pitt alias Boothe auf der Spahn-Movie Ranch auftauchen lässt, auf der die sogenannte Manson-Family als verschworene Hippie-Kommune haust, meint man permanent Hitchcocks Regieanweisungen aus dem Off zu hören.
Der ganze Manson-Handlungsstrang hat allerdings mehr metaphorische denn historisch-aufklärerische Funktion. Die von vielen befürchtete exploitative Ausschlachtung der Taten bleibt aus. Der dem Film nun häufig vorgeworfene mutlose Umgang mit der Manson-Thematik stimmt aber nur oberflächlich. Wie in „Inglourious Basterds“ präsentiert Tarantino seine ganz eigene Version der Geschichte und in der werden Tat und Täter degradiert und entmysthifiziert. Manson taugt hier nicht mal zum Treppenwitz. Die dafür angerührte Mischung aus Komik und Gewalt erinnert an „Pulp Fiction“, zu dem es werkimmanent die meisten Bezugspunkte gibt. Hier wie da bewegt sich Tarantino in einer märchenhaften und sehr persönlichen Traumwelt, die vor allem ein profundes und sehr emotionales Filmwissen ausstellt. Das Finale ist dafür der passende Abschluss, ein allen Widrigkeiten trotzender Triumph des Kinos. Die „Inglourious Basterds“ lassen grüßen.
Ganz so furios glorios lässt Tarantino „Once upon a time in Hollywood“ diesmal zwar nicht enden, aber ein versöhnlich hoffnungsfroher Ausklang ist unverkennbar. Den Film als verklärenden Liebesbrief zu deuten, greift indessen zu kurz. Tarantino ist ein ebenso genauer wie scharfsinniger Beobachter und sein Blick auf das vergangene Hollywood ist keineswegs frei von Zynismen und Bissigkeit, sei es im Hinblick auf das Starsystem, oder die Strippenzieher hinter den Kulissen (Al Pacinos Kurzauftritt als Produzent als prominentestes Beispiel). Die alles durchdringende nostalgische Wärme ist dennoch omnipräsent. Es ist mehr das Medium selbst und die damit beschäftigenden Menschen, auf die Tarantinos wenn man so will Hommage zielt, weniger eine bestimmte gute alte Zeit. Während sein Antiheldenduo und der elegische Ansatz direkt aus der Feder seines erklärten Liebringsregisseurs stammen könnte, ist die märchenhafte Stimmung und Darbietung das vorstechendste Merkmal. „Once upon a time …“ passt also in doppelter Hinsicht für einen Film, wie man ihn heute eigentlich nicht mehr dreht. Der Dank gilt vor allem dafür
_____________________________________________________________________________
(Rating: 9 / 10)