Dirty Harry (1971)

„Der urbane Revolverheld – oder zynischer Individualismus im Polizeifilm“

Das moderne Actionkino ist voll von kompromisslosen Individualisten. Gerade im Subgenre des Polizeifilms tummeln sich diese zu allem entschlossenen Einzelgänger. Ihr Credo ist es, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, koste es was es wolle. Da sind schon auch einmal ein paar Dehnungen der geltenden Gesetze von Nöten. Ohnehin haben sie ihren ganz eigenen Moralkodex. Recht und Gesetz sind für sie keinesfalls synonyme Begriffe. Um Verbrecher zur Stecke zu bringen, werden Gesetzesvorschriften eher als Hemmschuh empfunden. Die verhasste Bürokratie wird neben den Tätern zur eigentlichen Nemesis. Der Gebrauch der Schusswaffe erscheint als zwar extremes, aber häufig durchaus probates Mittel der Problemlösung. Vorgesetze oder Regierungsorgane erscheinen meist als inkompetente oder ausgebrannte Störfaktoren, die es zu übergehen gilt.
Ob Serpico, John McClane oder Martin Riggs, die erfolgreiche (filmische) Polizeiarbeit wird letztlich durch Werte wie Besessenheit, Beharrlichkeit und zupackendes Handeln definiert. Ja, selbst in der komödiantischen Variante wird der zupackende Individualismus zum Maß aller Dinge stilisiert. Auch Axel Foley muss sich durch einen wahren Dschungel behördlicher Fallstricke, Inkompetenz und Engstirnigkeit quasseln, bis er letztlich – dann ebenfalls mit der Schusswaffe – Recht und Ordnung wieder herstellen kann. Gerade weil die Realität erheblich komplexer und diffuser ist, solche Cops eher auf der Anklagebank landen oder in innerdienstlichen Verfahren aussortiert werden, erscheinen diese über den Dingen stehenden Einzelkämpfer so anziehend für das Publikum.

Die Filmfigur die das Genre definierte und bis heute unzählige Nachahmer produzierte erschien erstmals 1971 auf der Leinwand: Inspector Harry Callahan vom San Francisco Police Department, weit besser bekannt als Dirty Harry. Mit dem knallharten Einzelgänger-Cop erschufen Hauptdarsteller Clint Eastwood und Regisseur Don Siegel einen der umstrittensten und prägendsten Charaktere der Filmgeschichte. Als der Film Anfang der 1970er Jahre in die Kinos kam, gab es nicht nur in den USA einen Aufschrei der Entrüstung. Insbesondere liberale Kreise zeigten sich zutiefst schockiert ob einer angeblich offenkundigen Aufforderung zu Selbstjustiz und Rechtsradikalismus. Eine Kritikerin ging sogar so weit dem Film faschistoide Untertöne zu unterstellen. Die enorme Popularität Dirty Harrys – der Film war ein weltweiter Kassenschlager – heizte die aufgeladene Stimmung noch zusätzlich an.
Um diese extrem negative Rezeption bei gleichzeitig phänomenalem Publikumserfolg zu verstehen, muss man sich die gesellschaftlichen Bedingungen zur Entstehungszeit vergegenwärtigen. Watergate, das Vietnamtrauma und die damit verbundenen Unruhen sowie die von einem Gros der US-Bürger als eine zunehmende Aushöhlung der Gesetze zugunsten der Angeklagten empfundenen Miranda– und Escobedo-Urteile kreierten eine Stimmung von Verunsicherung und Ohnmacht in der amerikanischen Bevölkerung, die die Sehnsucht nach einfachen Lösungen durch einen starken Mann nährte. Eastwoods Dirty Harry traf genau den Nerv dieser unterschwelligen Sehnsüchte und kompensierte ein komplexes Geflecht dumpfer Ängste und Bedürfnisse. Hier war ein geradliniger Gesetzeshüter – frustriert von Bürokratie, behördlicher Inkompetenz und gesellschaftlicher Schwäche – der das Gesetz in die eigene Hand nahm und mit humorloser Entschlossenheit und einem gehörigen Maß an Political Incorrectness für Gerechtigkeit sorgte.

Wenn Eastwood heute in Interviews die Bedeutung und Intentionen des Films herunterspielt und behauptet man habe einfach einen spannenden Copfilm drehen wollen, erscheint das wenig glaubwürdig. Zu eindeutig sind die Verweise auf damalige brisante Themen und Ereignisse. So wird mit dem psychopathischen Killer Scorpio (Andrew Robinson) ein Gegenspieler aufgebaut, der ganz offensichtlich dem bis heute nicht gefassten Zodiac-Killer nachempfunden ist. Wie sein historisches Vorbild mordet Scorpio wahllos aus dem Hinterhalt und wendet sich mit anonymen Erpressungs-Botschaften an die Presse. Die Bevölkerung ist zutiefst verunsichert, zumal die Polizei machtlos scheint.
Als es Harry schließlich gelingt Scorpio nach drei Morden dingfest zu machen, muss dieser wieder auf freien Fuß gesetzt werden, da Harry ihn folterte um den Aufenthaltsort eines entführten Mädchens zu erfahren. Die gefundene Mordwaffe sowie das erzwungene Geständnis sind vor Gericht nicht zulässig. Durch die Figur eines Staatsanwalts der Harry belehrt, greift der Film auch bewusst das kontrovers diskutierte Miranda-Urteil auf (Polizisten hatten Verbrecher nicht über ihre Rechte aufgeklärt, so dass diese wieder freigelassen wurden). Wenn der frustrierte Harry seinem Gegenüber ein „Such a law is crazy!“ entgegenschleudert, dürfte er vielen Zeitgenossen aus der Seele gesprochen haben.

Der psychopathische Killer wird von Anfang an als Gegenstück zu Harry aufgebaut, nicht zuletzt um dessen radikales Handeln zu legitimieren. Die beiden Protagonisten erscheinen als Vorder- und Rückseite derselben Medaille, lediglich getrennt durch eine dünne Linie, die Recht von Unrecht unterscheidet. Die Übergänge sind dabei häufig fließend. Scorpio ist ebenso brutal, zynisch und zielstrebig in seinem Handeln wie Callahan. Er ist ein Einzelkämpfer, der außerhalb der Gesellschaft steht. Wie Harry ist er ein Meisterschütze und tötet ohne zu zögern. Sein Antriebsmotor scheint Besessenheit und Lust am perversen Spiel. Auch Harry ist besessen von der (Verbrecher-)Jagd und genießt deren Gefahren und Adrenalinschübe. Eine der berühmtesten und meistzitierten Szenen des Films macht dies deutlich. In seiner Mittagspause vereitelt Harry ganz nebenbei einen Banküberfall. Hot Dog in der einen, die übergroße 44er Magnum in der anderen Hand erschießt er kurzerhand zwei flüchtige Räuber. Den dritten hat er lediglich verwundet. Im anschließenden Dialog wird eine weitere Parallele zwischen Callahan und Scorpio deutlich: Sadismus:
„Jetzt überlegst du, ob da nun sechs Schüsse raus sind oder nur fünf. Wenn ich ehrlich sein soll, ich hab in der Aufregung selbst nicht mitgezählt. Das ist eine 44er Magnum, der Ballermann ist außerordentlich gefährlich, ich brauch blos zu drücken und er reißt dir den Arsch ab. Frag dich doch mal ob du nen Glückskind bist. Was denkst du Bruder, ist noch ne Kugel drin?“ Daraufhin drückt er ab, wohlwissend, dass die Trommel leer ist. Am Ende wird sich diese Szene fast eins zu eins wiederholen. Doch diesmal ist noch ein Schuss übrig und Harry weiß das.
Harrys innige Beziehung zu seiner Waffe ist kein Gag. Die 44er Magnum – ursprünglich als Jagdpistole konzipiert – wird zu einem eigenständigen Charakter des Films. Sie ist das Tod bringende Schwert der Rache, das der mit Füßen getretenen Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. Die Kameraeinstellungen – ebenso das Artwork zahlreicher Werbeplakate für den Film – lassen sie als verlängerten Arm Callahans erscheinen. Auch die erste Einstellung von Scorpio ist sein Scharfschützengewehr. Der Zuschauer sieht zuerst einen übergroßen Schalldämpfer, erst dann wird der Schütze dahinter sichtbar. Die angedeutete Verwandtschaft zu Harry ist überdeutlich. Beide benutzen ihre mächtigen Waffen, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Waffe als Machtinstrument, als Fetisch.

Heute ist Dirty Harry längst zum Klassiker avanciert und wird weit weniger aufgeregt besprochen. Viele damals umstrittene Elemente haben Einzug in das Actiongenre gehalten uns sind dort zu festen Größen geworden. Eine Figur wie Harry Callahan trägt weit mehr ikonische denn realistische Züge. Wirkliche Polizeiarbeit sieht anders aus und der Zuschauer ist sich dessen auch bewusst. Der Film polarisiert bei weitem nicht mehr so stark wie zu seiner Entstehungszeit, als er in ein aufgeheiztes Klima gesellschaftlicher Spannungen platzte. Die erzkonservative Grundhaltung der Titelfigur und dessen simple Lösungsansätze können aber sicherlich auch heute noch diskutiert werden.

Der enorme Erfolg von Dirty Harry zog bis dato vier überaus erfolgreiche Fortsetzungen nach sich. Die Intensität und atmosphärische Dichte des Originals konnte dabei allerdings nie mehr erreicht werden. Regisseur Don Siegel – der nur den ersten Teil inszenierte – und Clint Eastwood schufen einen stilbildenden Genreklassiker, der auch heute noch durch seine beklemmende Grundstimmung und kontroverse Ausrichtung mitreißt. Der teilweise treibende, teilweise bedrohlich im Hintergrund brodelnde, insgesamt aber eher spartanisch anmutende Score transportierte perfekt die nihilistische Atmosphäre des Films. Siegels Inszenierung wirkt ähnlich unaufgeregt und lakonisch wie der titelgebende Protagonist. Die Figur des Dirty Harry sowie zahlreiche Dialogzeilen (v.a. „Do you feel lucky, punk?“) hielten Einzug in die Popkultur. Siegel gelang es, Eastwood als Superstar zu installieren und sein Image für die nächsten Jahrzehnte zu prägen. Nach der Dollartrilogie bedeutete Dirty Harry Eastwoods endgültigen Durchbruch als Filmstar in seinem Heimatland.

In vielerlei Hinsicht erscheint Inspector Callahan als urbane Version des Mannes ohne Namen. Zwar auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes stehend, verbindet beide Figuren eine mythische Ausstrahlung, die sich in erster Linie durch deren ureigenen Moralkodex manifestiert, dem beide unbeirrbar, geradezu stoisch folgen und ohne Kompromisse treu bleiben. Wortkarg, lakonisch und nur seinem eigenen Gerechtigkeitssinn folgend, ist Harry der typische amerikanische Antiheld, wie er auch in zahlreichen Western der klassischen Ära auftaucht. Als der dreckige Job getan ist, die Gesellschaft ihren Retter – zu dem sie ohnehin ein eher ambivalentes Verhältnis hatte – nicht mehr braucht, verschwindet er einfach wieder. Gegen den Widerstand seines Hauptdarstellers setzte Don Siegel die zynische Schlusssequenz durch, die diese Reminiszenz verdeutlicht und den Bogen zum mythischen Westernhelden schlägt. Am Ende wirft Harry angewidert seine Polizeimarke weg und geht davon. Er reagiert dabei auf exakt dieselbe Weise wie Gary Cooper in High Noon. „A man has to do what has to be done. Sometimes it´s as simple as that.“

(9,5/10 Punkten)

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