Kinojahr 2023 – Kernfusion in Pink und Implosion im Jumpsuit

Und wieder ist ein Kinojahr vorbei. Es hat sich nach keinem besonderen angefühlt, aber vielleicht wird sich das in der historischen Rückschau ganz anders darstellen. Als Zeitenwende, als Neuanfang. Zumindest als Anfang vom Ende der rauschhaften Sequelmania und unverwüstlichen Franchise-Solidität. Argumente gäbe es jedenfalls. Abers sehen wir uns das Ganze doch einmal genauer an.

Durch die dicht gestaffelten Reihen der Barbenheimer-Truppen zu pflügen war diesmal selbst für Ethan Hunt eine regelrechte Mission Impossible. Und er war keineswegs der einzige Held, der sich an jener kruden Allianz aus Plüsch und Bombast die Zähne ausbiss. Da nützte kein Rad des Schicksals, kein Deklathon aus aufgemotzten Boliden und schon gar kein bunt gemischter Haufen noch bunter gewandeter Fantasy-Heroen. Am ehesten hätte man ein solches Husarenstück noch dem kleinen Korsen mit dem großen Hut zugetraut, immerhin ein ausgewiesener Experte im Aufmischen zahlenmäßig überlegener Gegner. Zu seiner Ehrenrettung muss man aber anmerken, dass er einem unerwartet heftigen Trommelfeuer an der profanen Schlafzimmerfront ausgesetzt war. Was nützen da schon Kanonen bei solch frechen Spatzen.

Damit war die Bahn frei für die so ungleiche Paarung aus Vater der Atombombe und Mutter der weiblichen Spielzimmerstube. Natürlich muss für einen solchen Run auch das Geläuf stimmen, im bajuwarischen Jargon auch bekannt als „A gmahde Wiesn“. Die seit zwei Jahrzehnten alles nieder trampelnden Comic-Helden aus den Häusern Marvel und DC waren endgültig kräftig ins Straucheln geraten, dem Mäusekonzern und seinen diversen Filialen ist schon länger das Händchen für ausverkaufte Familienkonzerte abhanden gekommen und an der darbenden Actionfront hat es sich eine Tristesse aus Redundanz, Gestrigkeit und Harmlosigkeit gemütlich gemacht. Wenigstens räumte das gute alte Hustenbonbon aus dem Hause Wick erneut wieder kräftig durch, aber eine gewisse Altersmüdigkeit war selbst da spürbar.

Und so waren es mehr die kleinen Freuden, die sich zwischen ausgelassene Barbie-Parties und andächtige Nolan-Messen mogelten. Besonders launig waren dabei zwei Ausflüge in die ebenfalls fluffig poppige Welt der 1980er Jahre („Air“ ; „Girl you know it´s true“). Der eine ging ins so gar nicht mondäne Oregon, der andere ins bundesdeutsche Äquivalent nach Bayern. Der eine zeigte wie ein schnöder Basketball-Sneaker eine Sportartikelfirma zum Global Player machte. Der andere wie ein deutscher Musikproduzent zwei Lipysnc-Tänzern zum renommiertesten Preis der US-Musikindustrie verhalf und praktisch simultan zu ihrem größten Skandal. Die Erschütterungen waren in beiden Fällen epochal, so viel steht fest.

Und sonst? Viel Lärm um recht wenig. Michael B Jordan hat endgültig bewiesen, dass er es an Charisma nicht mit Sylvester Stallone aufnehmen kann und dass seine Figur Adonis Creed dasselbe Schicksal im Vergleich mit Rocky Balboa teilt („Creed III“). Timothée Chalamet wirkt in der Schokoladenfabrik ähnlich blass wie im Wüstensand, was aber – so viel Fairness sollte sein – am weichgespülten Skript liegt, dem man gehörig den Roald Dahl ausgetrieben hat („Wonka“). Kenneth Branagh schließlich tat gut daran, sich dem direkten Vergleich großer Poirot-Filme diesmal mit einem kleinen Abstecher ins gruselige Venedig zu entziehen („A haunting in Venice“). Und so lag es wieder einmal an Jason Stataham das Bestellte zu liefern. Und das tat er dann auch sowohl als Riesenhai-Jäger wie auch als Spionage-Genie gewohnt zuverlässig, weil aufs Wesentliche, also aufs Körperliche konzentriert („Meg 2“; „Operation Fortune“).

Ach ja, eine Überraschung gab´s dann doch noch. Nein, auch dieses Jahr gelang DC kein guter Film. Nein, auch die 6. Schrei-Attacke konnte Neve Campbell nicht vergessen machen. Und nein, Denzel Washington und Antoine Fuqua haben noch immer keinen Flop gelandet. Die Überraschung war – Achtung Tusch! -, es gibt jetzt eine gelungene Spieleverfilmung. Und auch noch eine mit Drachen. Was oberflächlich betrachtet nach einem weiteren formelhaften Fanatsy-Abenteuer im CGI-Einheitslook aussah, entpuppte sich als großer Spaß, der in Sachen Timing, Charme, Tempo und Feelgood-Atmosphäre die letzten 5-6 Comic-Blockbuster verblüffend locker in die Tasche steckte. Vielleicht sollte man doch manchmal im voraus Pläne schmieden, sie könnten aufgehen.

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Top 5:

1 Mission Impossible: Dead Reckoning Part 1 (9/10)

(Action- und Stuntarbeit in Perfektion und ein Tempo, das an einen gut geölten V8 erinnert; Tom Cruise ist der letzte globale Filmstar und das weiß er)

2 Girl you know it´s true (9/10)

(ungemein unterhaltsames Stimmungsbild der späten 1980er Jahre, das für einen deutschen Film verblüffend gekonnt zwischen Komödie, Milieustudie, Drama und Dokumentation jongliert)

3 Air (8/10)

(ungemein unterhaltsames Stimmungsbild der mittleren 1980er Jahre, dessen fluffige Leichtigkeit für ein wohliges Dauergrinsen sorgt)

4 Dungeons & Dragons (8/10)

(fluffige Leichtigkeit und Dauergrinsen zum zweiten, diesmal im Gewand einer bunten Fantasy-Sause)

5 Missing (8/10)

(scharf Beobachter Zeitgeist-Thriller und Plot-Twister, der True Crime Hype und Internetkultur geschickt für die Spannungsschreibe nutzt)

Geheimtipp: Sisu (Django joins Rambo in Finland; fieses, dreckiges Actionbrett mit Message; ein Geheimtipp, wenn auch nicht für jedermann)

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Flop 5:

1 Oppenheimer (4/10) (blutleere und seelenlose Nolan-Show, deren inszenatorische Mätzchen die Inhaltsleere und uninteressante Hauptfigur nicht kaschieren können)

2 Flash (4,5/10) (Origin-Abenteuer von der Stange, dessen unsympathischer Titelheld jegliches Interesse an FIlm und Figur sehr schnell eliminiert)

3 The Marvels (4,5/10) (in Ton, Narration und Personal kruder Brei aus Versatzstücken früherer Filme und aktueller TV-Serien) 

4 Creed 3 (5/10) (Box-Abenteuer von der Stange, dessen Verzicht auf Stallone und sein Alter Ego die Abklatsch-DNA der ganzen Reihe schonungslos offen legt)

5 Wonka (5/10) (viel zu braver Umgang mit der Roald Dahl Vorlage, der zudem mit schwachbrüstigen Gesangseinlagen nervt)

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OK 5:

1 John Wick 4 (7,5/10) (zu lang, zu episch, aber immer noch verdammt cool, stylish und derb)

2 Napoleon (7/10) (zu kurz, zu weit weg von Politiker und Stastsmann, aber grandios in seinen Panoramen)

3 Operation Fortune (7/10) (schmissige und stylishe Agentenfarce ohne Substanz aber mit viel Schwung)

4 The Equalizer 3 (7/10) (Washington und Fuqua machen Mittelmäßigkeit zumindest währenddessen vergessen)

5 Indiana Jones und das Rad des Schicksals (7/10) (zu alt(backen), zu vorhersehbar, zu nerviger Sidekick, aber immer noch charmant)

6 Scream 6 (7/10) (das Rezept ist nicht neu, das Personal nicht besser, aber der Fan nimmts dennoch gerne)

7 Meg 2 (7/10) (besser als Teil 1 weil mehr Gaga, mehr Blut, mehr Tempo)

8 Guardians of the Galaxy 3 (7/10) (letztes Aufbäumen der alten Marvel-Stärken, Abnutzungs- und Ermüdungserscheinungen inbegriffen)

9 A haunting in Venice (7/10) (ein unbekannterer Poirot-Stoff, samt entfällt der Vergleich mit großen Filmvorbildern; der Mix zwischen ein wenig Grusel und Whodunit sorgt für Abwechslung)

10 Barbie (6/10) (nicht immer stimmige Fusion aus Gesellschaftssatire, Nostalgiesehnsucht und Unterhaltungsbrett; Setdesign und Ryan Gosling sind aber jedes Eintrittsgeld wert)

11 Plane (6/10) (Gerard Butler ist der imaginäre Twin von Jason Statham, was als Kompliment gilt)

12 The Creator (6/10) (schönes Worldbuilding und fantastische Effekte in einer 08/15-SiFi-Geschichte, die mehr sein will)

13 Fast 10 (6/10) (man mag sie, oder hasst sie, aber auch als Sympathisant darf man langsam aber sicher kritischer werden)

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