Ein Mann sieht rot (1974)

Blaupause in rot: Selbst ist der Gerechte!

„Ein Mann sieht rot“ – was für ein Titel. Und wie treffend. Über Figur und Film ist damit praktisch alles gesagt. Er verheisst nichts gutes, er steht für Aggression, aber auch für Verzweiflung. Wie lahm und schwammig klingt dabei „Todessehnsucht“, wie man das Original „Death Wish“ übersetzen würde. Manchmal lohnt es also doch, die Möglichkeit zur Titeländerung zu nutzen. In diesem Fall ist die Neuschöpfung gar zu einem geflügelten Wort bzw. Ausspruch geworden. Das „rot sehen“ gab es natürlich schon vorher, aber in Verbindung mit „Mann“ steht es seither vor allem im Actionkino für den gnadenlosen Rächer, eine meist schießwütige Fusion von Richter und Henker. Nicht schlecht für einen Film, den seinerzeit viele Studios wegen seiner kontroversen Thematik gar nicht machen wollten.

Zu jenem nachhallenden Ruf hat allerdings weniger der Erfolg des Films beigetragen, als vielmehr seine vier Sequels, die sich einigermaßen deutlich vom ernst gemeinten Ansatz des Originals entfernten. Denn das besaß durchaus gesellschaftskritischen Sprengstoff und ist keinesfalls der tumbe Selbstjustiz-Reißer, als der er gern abgestempelt wird. Zynismus und eine zwiespältige Botschaft wurden ihm aber auch 1974 schon unterstellt. Ein wenig mehr hat er dann allerdings doch zu bieten.

Charles Bronson spielt den Titelhelden und das war ein Besetzungscoup. Seit seinen Western-Tagen galt er als mürrischer Einzelgänger mit Herz. Ein Mann der Tat und möglichst weniger Worte. Ein knallharter Hund, ja, aber an einen fast archaischen Ehrenkodex glaubend, der selbst seinen Verbrecherfiguren immer etwas Smpathisches und Vertrauenswürdiges mit gab. Er flippte nie aus, war immer die Ruhe selbst und schlug nur zu, wenn es unumgänglich schien.

Ihm nimmt man auch den erfolgreichen New Yorker Achitekten Paul Kersey ab. Ein gut situierter Bürger, der mit Gewalt und Brutalität nichts im Sinn hat. Bis seine Frau und Tochter Opfer eines brutalen Raubüberfalls werden, bei dem beide vergewaltigt und halb tot geprügelt werden. Während erstere noch am Tatort stirbt, fällt letztere ins Koma und als sie erwacht, ist sie so schwer traumatisiert, dass am Ende nur ein Pflegeheim bleibt. Der schwer getroffene Kersey glaubt derweil an Recht und Gesetz, aber die Mörder sind unauffindbar. Die Arbeit lenkt ihn ab, aber Trauer und Verzweiflung können sie nur unterdrücken. Als der Fall langsam aber sicher zu den Akten gelegt wird, weicht die Ohnmacht langsam der Wut. Auf seinen ziellosen Streifzügen durch das nächtliche New York, wird er immer wieder Zeuge von Straftaten. Als er eines Nachts selbst zur Waffe greift – ein Geschäftspartner hatte sie ihm für seine Unterstützung geschenkt – um sich zu verteidigen, ist das wie ein Weckruf und ein Aufbruchssignal. Fortan säubert er Nacht für Nacht die Straßen und wird bald von der Öffentlichkeit als Rächer-Held gefeiert. Die Polizei steckt in der Zwickmühle. Der Unbekannte sorgt für eine deutliche Entspannung in der vom Verbrechen geknechteten Metropole, aber ist dabei natürlich ein gnadenloser Killer.

Drei Jahre vor Bronson hatte bereits ein anderer ehemaliger Leone-Held die Straßen einer amerikanischen Großstadt gesäubert. Clint Eastwood wütete als Vigilanten-Cop „Dirty Harry“ in San Francisco und die Reaktionen waren ganz ähnlich ausgefallen. Es hagelte Kritik vornehmlich aus dem linksliberalen Lager, während die erzkonservative Gegenseite das rüde polizeiliche Vorgehen begrüßte. Ein klares Fanal für Selbstjustiz ist „Dirty Harry“ aber sicher nicht, dafür waren Don Siegel und Clint Eastwood zu klug und es entsprach auch nicht ihren Ansichten. Harry ist ein ambivalenter Charakter und sein Tun erscheint durchgängig fragwürdig.
„Death Wish“ geht hier erkennbar einen Shritt weiter. Kersey ist Privatmann und kein Gesetzesvertreter, zudem macht er gezielt Jagd auf Verbrecher mit dem Ziel sie zu töten. Durch sein persönliches Schicksal und seinen zunächst freundlichen Charakter ist er dem Zuschauer deutlich näher als Eastwoods viel unzugänglicher angelegter Polizist. Vor allem aber ist die Kontroverse um das eigenmächtige Handeln der Rächerfigur – zumal Kersey viel brutaler vorgeht – weniger zentral wie in „Dirty Harry“. „Death Wish“ ist der manipulativere Film zum Thema, dennoch liefert auch er noch genügend Denkansätze, die ihn von seinen Fortsetzungen abgrenzen.

Da wäre das Feiern Kerseys in einigen Medien und bei vielen Bürgern New Yorks. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen und unmittelbarer Gerechtigkeit (die Justiz und Strafvollzug in den Augen vieler oft nicht bietet) bekommt gerade durch die gezeigte Euphorie und die damit einhergehende Eigendynamik der Glorifizierung von Selbstjustiz einen zwielichtigen Anstrich. Regisseur Michael Winner verzichtet hier gänzlich auf Wertungen, so dass man sich permanent selbst fragt, wie man dazu stehen würde. Auch das Dilemma der Ordnungshüter kommt, wenn auch auf die Spitze getrieben, in kontroverser Weise aufs Tablett. Das NYPD will den Mörder Kersey fassen, aber keinen Vigilanten-Märtyrer aus ihm machen. Dass man ihn deshalb am Ende sogar laufen lässt, hat dem Film sehr viel Kritik eingetragen im Hinblick auf eine Rechtfertigung seiner Taten und eines antiheldischen Happy Ends. Letzteres kann man noch unterstellen, aber mit ersterem verhält es sich mindestens diskutabler. Es ist nicht völlig abwegig, dass hinter den Kulissen der behördlichen Macht eine solch Grenzen überschreitende Entscheidung getroffen wird. Ein eiskaltes Abwägen zwischen Kosten und Nutzen, bei dem Moral kaum eine Rolle mehr spielt und Recht wie Gesetz noch weit weniger.

Winner findet für das düstere Szenario entsprechend triste Bilder, die von Herbie Hancocks sparsamem aber eindringlichem Jazz-Score stimmungsvoll untermalt werden. Alles an „Death Wish“ wirkt unaufgeregt, nihilistisch, fast müde. Um so deutlicher heben sich als Kontrast die Szenen auf Hawaii und in Arizona ab. Zu Beginn verbringen Kersey und seine Frau noch einen Badeurlaub unter Palmen. Ähnlich sonnig und hell wird es nur noch bei seinem Auftrag in Arizona, bei dem er die später so wichtige Waffe als Geschenk erhält. Beides steht für Kerseys wenige positive Momente, den liebenden Ehemann und den vermeintlichen Ausweg aus Trauer und Ohnmacht. Hier arbeitet Winner dann doch mit Suggestion, genauso wie bei der Inszenierung des Raubmordes, der vor allem für die 1970er Jahre in einer für das Mainstreamkino unüblichen Drastik und Schonungslosigkeit gefilmt ist.

„Death Wish“ ist also auch ein reißerischer Rache-Thriller mit reaktionärem Unterton. Seine besonderen Qualitäten liegen darin, dass er diese harte Schale immer wieder aufbricht und Raum für kritisches Reflektieren schafft. Hinter Kerseys Taten bleibt immer ein moralisches Fragezeichen, trotz einer eher rechtfertigenden Tendenz. Bronsons Darstellung verstärkt diesen Effekt, denn er tritt nicht als cooler Actionheld, sondern als gebrochener Racheengel auf (Winner weiß ganz genau, wie er Bronsons Stärken am besten nutzt, „Death Wish“ war ihr vierter gemeinsamer Film binnen zwei Jahren). Die Morde passieren in dunklen Hinterhöfen und verlassenen Wohnruinen. Sie werden weder zelebriert, noch ausgewalzt und sind letzlich so trist wie Hauptfigur und Atmosphäre.

Erst die Fortsetzung und noch mehr die drei weiteren Sequels machten Kersey dann zur eiskalten Killermaschine für die er v.a. allem in B-Action-Kreisen Kultstatus erlangen sollte. Dass dies unter dem urprünglich vorgesehenen Regisseur Sidney Lumet und Star Jack Lemmon ebenfalls gelungen wäre, scheint kaum vorstellbar. Michael Winner war immerhin noch für die Teile 2 und 3 verantwortlich und verabschiedete sich damit genauso wie sein Hauptdarsteller vom gesellschaftskritischen Unterbau des Originals. Immerhin haben sie damit einen Subgenre-Archetypen geschaffen, den inzwischen wiederum Darsteller wie Liam Neeson oder Denzel Washington endgültig vom B-Movie-Mief befreit haben (Eli Roths so überflüssiges wie konturloses 2018er-Remake kann man dahingehend allerdings trotz Bruce Willis wieder als Rückschritt sehen). Charles Bronson jedenfalls war spätestens mit „Deat Wish 2″ auf den vigilanten Einzelgänger abboniert. Auch wenn er nicht immer gleich „rot sah“.

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